82 I Jörg Sonntag
Schrifttum7 8 oder etwa die Rituale des klösterlichen Alltags. Das kartäusische
Leben fußte auf benediktinischer Grundlage, ergänzt um die consuetudines
des Priors der Grande Chartreuse Guigo. Die Eremiten von Kamalduli arron-
dierten die Benediktsregel um die Regel ihres Gründers Romuald (f 1027). Die
Dominikaner schworen ihre Profess bald nicht nur auf die Augustinusregel,
sondern auch auf die dominikanischen Konstitutionen (institutiones).* Selbst
die Zisterzienser hatten im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts der Bene-
diktsregel mit der Carta Caritatis einen zumindest regelähnlichen, unverän-
derlichen Text an die Seite gegeben.
2. Systemexterne Faktoren für Autorität und Wirkmacht
Dieses komplizierte normative Geflecht aus Regel, Statuten, consuetudines und
Ritualen verkompliziert sich im Sinne unserer Fragestellung weiter, wenn man
etwa bedenkt, dass das, was - im Glauben der Zeitgenossen - Autorität aus sich
selbst heraus besaß, oder das, dem anhand von Geltungsbehauptungen Autorität
zugesprochen wurde, noch lange nicht über ausreichend Strahlkraft verfügen
musste. Auf Wirkmacht fußende Wirkung scheint qualitativ tatsächlich stärker
systemexternen Faktoren zu unterliegen, zunächst etwa der Aufnahmewillig-
keit der Rezipienten. Die Stephansregel und ihr Verlangen nach Armut, Gehor-
sam und Einsamkeit stießen ebenso auf fruchtbaren Boden wie die Franziskus-
regel und ihr Armutsideal. Beide trafen den Geschmack ihrer ganz eigenen Zeit
und der sie begleitenden sozialen, politischen oder ökomischen Umstände oder
theologischen und kirchenrechtlichen Leitlinien. Dennoch bedurften beide of-
fenkundig päpstlicher Approbationen: Der Stephansregel ist eine ganze Katene
solcher päpstlicher Bestätigungen angehängt.9 Für die Franziskusregel war die
kuriale Approbation sogar konstitutiv. Auch die heilige Birgitta, deren Visionen
in ihre Regel einflossen, belächelten nicht wenige Kritiker zunächst eher als
Wahnsinnige denn als Heilige. Auch hier wurden konsequenterweise gleich
mehrere päpstliche Approbationen ihrer Regel notwendig, ohne die Wirkmacht
und Wirkung möglicherweise ausgeblieben wären.10 Der 13. Kanon des Vierten
7 Melville, Regeln (wie Anm. 3), S. 30f.
8 Vgl. die Constitutiones antique Ordinis Pratrum Praedicatorum, I, 16, in: De oudste Consti-
tuties van de Dominicanen. Voorgeschiedems, Tekst, Bronen Ontstaan en Ontwikkelmg
(1215-1237), hg. v. Antoninus Hendrik Thomas, Leuven 1965, S. 327.
9 La regle de Grandmont, hg. v. Jean Becquet, in: Etudes Grandmontaines (Memoires et do-
cuments sur le Bas-Limousin 22), Ussel 1998, S. 116.
10 Siehe u. a. Denis SEARBY/Bridget Morris (Hgg.), The Revelations of St. Birgitta of Sweden,
Bd. 4: The Heavenly Emperor’s Book to Kings, The Rule, and Minor Works, Oxford 2015,
Schrifttum7 8 oder etwa die Rituale des klösterlichen Alltags. Das kartäusische
Leben fußte auf benediktinischer Grundlage, ergänzt um die consuetudines
des Priors der Grande Chartreuse Guigo. Die Eremiten von Kamalduli arron-
dierten die Benediktsregel um die Regel ihres Gründers Romuald (f 1027). Die
Dominikaner schworen ihre Profess bald nicht nur auf die Augustinusregel,
sondern auch auf die dominikanischen Konstitutionen (institutiones).* Selbst
die Zisterzienser hatten im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts der Bene-
diktsregel mit der Carta Caritatis einen zumindest regelähnlichen, unverän-
derlichen Text an die Seite gegeben.
2. Systemexterne Faktoren für Autorität und Wirkmacht
Dieses komplizierte normative Geflecht aus Regel, Statuten, consuetudines und
Ritualen verkompliziert sich im Sinne unserer Fragestellung weiter, wenn man
etwa bedenkt, dass das, was - im Glauben der Zeitgenossen - Autorität aus sich
selbst heraus besaß, oder das, dem anhand von Geltungsbehauptungen Autorität
zugesprochen wurde, noch lange nicht über ausreichend Strahlkraft verfügen
musste. Auf Wirkmacht fußende Wirkung scheint qualitativ tatsächlich stärker
systemexternen Faktoren zu unterliegen, zunächst etwa der Aufnahmewillig-
keit der Rezipienten. Die Stephansregel und ihr Verlangen nach Armut, Gehor-
sam und Einsamkeit stießen ebenso auf fruchtbaren Boden wie die Franziskus-
regel und ihr Armutsideal. Beide trafen den Geschmack ihrer ganz eigenen Zeit
und der sie begleitenden sozialen, politischen oder ökomischen Umstände oder
theologischen und kirchenrechtlichen Leitlinien. Dennoch bedurften beide of-
fenkundig päpstlicher Approbationen: Der Stephansregel ist eine ganze Katene
solcher päpstlicher Bestätigungen angehängt.9 Für die Franziskusregel war die
kuriale Approbation sogar konstitutiv. Auch die heilige Birgitta, deren Visionen
in ihre Regel einflossen, belächelten nicht wenige Kritiker zunächst eher als
Wahnsinnige denn als Heilige. Auch hier wurden konsequenterweise gleich
mehrere päpstliche Approbationen ihrer Regel notwendig, ohne die Wirkmacht
und Wirkung möglicherweise ausgeblieben wären.10 Der 13. Kanon des Vierten
7 Melville, Regeln (wie Anm. 3), S. 30f.
8 Vgl. die Constitutiones antique Ordinis Pratrum Praedicatorum, I, 16, in: De oudste Consti-
tuties van de Dominicanen. Voorgeschiedems, Tekst, Bronen Ontstaan en Ontwikkelmg
(1215-1237), hg. v. Antoninus Hendrik Thomas, Leuven 1965, S. 327.
9 La regle de Grandmont, hg. v. Jean Becquet, in: Etudes Grandmontaines (Memoires et do-
cuments sur le Bas-Limousin 22), Ussel 1998, S. 116.
10 Siehe u. a. Denis SEARBY/Bridget Morris (Hgg.), The Revelations of St. Birgitta of Sweden,
Bd. 4: The Heavenly Emperor’s Book to Kings, The Rule, and Minor Works, Oxford 2015,