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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Editor]; Melville, Gert [Editor]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0096
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92 I Jörg Sonntag

einen Weg der handlungsorientierten Aktualisierung, Geltungssicherung und
Perfektionierung ihrer Autorität, Strahlkraft und Wirkmacht. Der Kommen-
tar aus Pontigny ist nur ein Beispiel hierfür und gleichermaßen für die Kon-
kurrenz zu anderen Orden und Verbänden: „Innerhalb der heiligen Kirche ist
unser Orden nach der Römischen Kirche der erste. Ihm gebührt höhere Ehre“
als anderen, heißt es dort etwa.41
Diese Konkurrenz der diversen formae vitae und demzufolge ebenso die
differenten Autoritätszuschreibungen ihrer differente Strahlkraft entfaltenden
Basistexte wurden von Zeitgenossen auch außerhalb der Klosterwelt wahrge-
nommen - zumindest das steht außer Frage: Diversa sunt monasteria et diversas
habent institutiones [...] ad ipsos est recurrendum, hieß es in dem berühmten
Zitat des Hostiensis aus dem 13. Jahrhundert.42
Religiöse und ihre Regel ließen sich einbinden in die großen Konzepte der
christlichen Heilsgeschichte. Bereits diese Tatsache ist Zeugnis eines immensen
symbolischen Kapitals mithin wirkmächtiger Autorität. Man denke etwa an die
Historia occidentalis des Jakob von Vitry, in der er beispielsweise den Bettel-
orden nicht nur als vierte Lebensform neben Eremiten, Mönchen und Kanoni-
kern heilsgeschichtlichen Rang zuwies, sondern überhaupt die Lebensweise,
etwa der Franziskaner, an den Anfang religiösen Asketentums stellte. Wie Ath-
leten würden sie zum Wohle der Welt die anderen nun quasi von hinten überho-
len.43 Was hier anklingt, ist die gleiche Dimension wie die bereits vorhin für die
Franziskusregel geschilderte. Gemeint ist die indirekte, vermittelte Wirkmacht
und Wirkung der Regeln, und diese war und ist enorm.
In Klöstern, Verbänden und Orden - und in ihren Regeln - kristallisierten
sich wesentliche Bedürfnisse der mittelalterlichen Gesellschaft. Nahezu alle
religiösen Orden und Verbände wirkten über das Befolgen (oder die Nichtbefol-
gung) von Regeln auf ihre jeweils eigene Art nach außen. Selbst Klosterrefor-
men etwa als Ausdruck des institutionsstabilisierenden Erneuerungswillens
funktionierten nie ohne Basistext. Und dass Reformen wiederum kulturge-
41 Sermones in Regulam s. Benedicti VII, 12, S. 210 (wie Anm. 23): Ordo [...] noster in sancta
Ecclesia post sanctam Romanam Ecclesiam primus honore habitus potiori [...].
42 Vgl. Hostiensis, Summa aurea, Venedig 1574, S. 1144 und Gert Melville, .Diversa sunt mo-
nasteria et diversas habent institutiones’. Aspetti delle molteplici forme organizzative dei
religiös! nel Medioevo, in: Gaetano Zito (Hg.), Chiesa e societä in Sicilia. I secoli XII-XVI,
Torino 1995, S. 324-345.
43 Vgl. John Frederick Hinnebusch (Hg.), The Historia Occidentalis of Jacques of Vitry, Fri-
bourg 1972, S. 161-165 und dazu Gert Melville, Duo novae conversatioms ordines. Zur
Wahrnehmung der frühen Mendikanten vor dem Problem institutioneller Neuartigkeit im
mittelalterlichen Religiosentum, in: Gert MELViLLE/Jörg Oberste (Hgg.), Die Bettelorden
im Aufbau. Beiträge zu Institutionalisierungsprozessen im mittelalterlichen Religiosentum
(Vita regularis 11), Münster 1999, S. 8f.
 
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