102 I Michael Hänchen und Gert Melville
Raster ist folglich der Verbleib in der Systemimmanenz. In unserem For-
schungsfeld konnten wir feststellen, dass weit über 90 % der Fälle der Routine
unterworfen waren20.
Gleichwohl war eine daraus gewonnene Stabilität stets prekär. Es bedurfte
einer hohen Spannkraft, über Jahre und Generationen hinweg jene System-
grenzen aufrechtzuerhalten und zu verteidigen, die eine Autonomie der Ver-
fahren gegenüber einer stets übermäßig ,,komplex[en], unüberblickbarfen] und
unkontrollierbarfen] Umwelt“21 garantierte. Zahlreiche Visitationsberichte
und Definitionen der Generalkapitel belegen gravierende Fälle, die sich jener
Sicherheit versprechenden Routine tatsächlich mehr oder weniger stark zu ent-
ziehen schienen und dadurch mehrere Jahre sowie eine Unmenge von Verfah-
rensschritten für ihre Lösung brauchten. Ungeachtet unterschiedlicher Gründe
war ihr gemeinsames Kennzeichen, dass sie auch beim Vollzug von formalen
Verfahren noch hochkomplex blieben. Das lag zum einen daran, dass innerhalb
des Systems neue Sachlagen entstanden waren, für die die Legislative noch keine
adäquaten Normen geschaffen hatte, oder die Verfahrensfestigkeit immer wie-
der brach, weil das beteiligte Personal die Routine unterlief (z. B. durch Gewalt
oder Amtsmissbrauch). Zum anderen haben aber auch die Systemgrenzen nicht
gehalten, weil exogene Strukturen in das ordensinterne System konditionierend
einwirkten, z. B. im Zuge von Verfahrensabläufen durch Rückgriffe auf hierar-
chisch höher gestellte Instanzen geistlicher oder weltlicher Art in Form von (zu-
meist repressiven) Interventionen seitens dritter Gewalten. Alle derartigen Fälle
forderten die Steuerungskapazitäten (Routinen) eines Ordens aufs Äußerste he-
raus, ja konnten diesen letztlich sogar zu größeren Reformmaßnahmen veran-
lassen. Andererseits aber waren sie auch Prüfsteine und Nachweise für die Be-
lastbarkeit sowie die Wirkungsmacht der Ordensorgane und ihrer Verfahren.
20 Analysiert wurden im Rahmen des obengenannten DFG-Projektes (siehe Anm. 1) zum einen
764 Visitationsberichte und 645 Beschlüsse des Generalkapitels cluniazensischer Provenienz
aus den Jahren 1259-1289 sowie zum anderen 1753 Generalkapitelbeschlüsse der Zisterzien-
ser aus den Jahren 1190-1220. Im Gegensatz zur cluniazensischen, durch das Generalkapitel
gesteuerten Visitation beruhte die zisterziensische dezentral auf dem Filialsystem der Klös-
ter. Daher mussten die Visitationsberichte nicht generell auf dem Generalkapitel vorgelegt
und archiviert werden. Darüber hinaus wurden sie in den Klöstern häufig nach einem Jahr
vernichtet. Die Überlieferung ist daher äußerst gering, weshalb im Projekt der Fokus auf den
zahlreichen Generalkapitelbeschlüssen liegt. Vgl. hierzu Jörg Oberste, Visitation und
Ordensorganisation. Formen sozialer Normierung, Kontrolle und Kommunikation bei Cis-
terziensern, Prämonstratensern und Clumazensern (12.-frühes 14. Jahrhundert) (Vita regu-
laris 2), Münster 1996, S. 97.
21 Luhmann, Legitimation (wie Anm. 13), S. 41.
Raster ist folglich der Verbleib in der Systemimmanenz. In unserem For-
schungsfeld konnten wir feststellen, dass weit über 90 % der Fälle der Routine
unterworfen waren20.
Gleichwohl war eine daraus gewonnene Stabilität stets prekär. Es bedurfte
einer hohen Spannkraft, über Jahre und Generationen hinweg jene System-
grenzen aufrechtzuerhalten und zu verteidigen, die eine Autonomie der Ver-
fahren gegenüber einer stets übermäßig ,,komplex[en], unüberblickbarfen] und
unkontrollierbarfen] Umwelt“21 garantierte. Zahlreiche Visitationsberichte
und Definitionen der Generalkapitel belegen gravierende Fälle, die sich jener
Sicherheit versprechenden Routine tatsächlich mehr oder weniger stark zu ent-
ziehen schienen und dadurch mehrere Jahre sowie eine Unmenge von Verfah-
rensschritten für ihre Lösung brauchten. Ungeachtet unterschiedlicher Gründe
war ihr gemeinsames Kennzeichen, dass sie auch beim Vollzug von formalen
Verfahren noch hochkomplex blieben. Das lag zum einen daran, dass innerhalb
des Systems neue Sachlagen entstanden waren, für die die Legislative noch keine
adäquaten Normen geschaffen hatte, oder die Verfahrensfestigkeit immer wie-
der brach, weil das beteiligte Personal die Routine unterlief (z. B. durch Gewalt
oder Amtsmissbrauch). Zum anderen haben aber auch die Systemgrenzen nicht
gehalten, weil exogene Strukturen in das ordensinterne System konditionierend
einwirkten, z. B. im Zuge von Verfahrensabläufen durch Rückgriffe auf hierar-
chisch höher gestellte Instanzen geistlicher oder weltlicher Art in Form von (zu-
meist repressiven) Interventionen seitens dritter Gewalten. Alle derartigen Fälle
forderten die Steuerungskapazitäten (Routinen) eines Ordens aufs Äußerste he-
raus, ja konnten diesen letztlich sogar zu größeren Reformmaßnahmen veran-
lassen. Andererseits aber waren sie auch Prüfsteine und Nachweise für die Be-
lastbarkeit sowie die Wirkungsmacht der Ordensorgane und ihrer Verfahren.
20 Analysiert wurden im Rahmen des obengenannten DFG-Projektes (siehe Anm. 1) zum einen
764 Visitationsberichte und 645 Beschlüsse des Generalkapitels cluniazensischer Provenienz
aus den Jahren 1259-1289 sowie zum anderen 1753 Generalkapitelbeschlüsse der Zisterzien-
ser aus den Jahren 1190-1220. Im Gegensatz zur cluniazensischen, durch das Generalkapitel
gesteuerten Visitation beruhte die zisterziensische dezentral auf dem Filialsystem der Klös-
ter. Daher mussten die Visitationsberichte nicht generell auf dem Generalkapitel vorgelegt
und archiviert werden. Darüber hinaus wurden sie in den Klöstern häufig nach einem Jahr
vernichtet. Die Überlieferung ist daher äußerst gering, weshalb im Projekt der Fokus auf den
zahlreichen Generalkapitelbeschlüssen liegt. Vgl. hierzu Jörg Oberste, Visitation und
Ordensorganisation. Formen sozialer Normierung, Kontrolle und Kommunikation bei Cis-
terziensern, Prämonstratensern und Clumazensern (12.-frühes 14. Jahrhundert) (Vita regu-
laris 2), Münster 1996, S. 97.
21 Luhmann, Legitimation (wie Anm. 13), S. 41.