170 I Martin Kintzinger
Die Wertschätzung der gelehrten Ordensmänner als Übersetzer am Königs-
hof muss erheblich gewesen sein (Abb. 7). In einer für spätmittelalterliche Illumi-
natoren naheliegenden Perspektive der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist
in einer Handschrift von 1333 in zwei nebeneinander stehenden Szenen gezeigt,
wie der berühmte Enzyklopädist Vinzenz von Beauvais in der ersten Hälfte des
13. Jahrhunderts sein Speculum historiale schreibt und wie einhundert Jahre spä-
ter, zeitgleich zur Entstehung der Illumination, Jean de Vignay das Werk des
Vinzenz ms Französische überträgt.55 Beide sind als Mönche kenntlich gemacht,
auch wenn der gezeigte Habit ihre Ordenszugehörigkeit nicht eindeutig verrät,
bei Vinzenz, der eher wie ein Benediktiner gekleidet ist, diejenige der Dominika-
ner, bei Jean, der im Stil eines Franziskaners erscheint, diejenige eines Hospitali-
ters (Maltesers). Entscheidend war für den Illuminator, dass beide als Ordens-
männer kenntlich sind -und dass sie persönlichen Besuch von ihren Auftraggebern
bekommen, König Ludwig IX. bzw. Königin Jeanne als Ehefrau König Phil-
ipps VI., die sich persönlich nach dem Fortgang der Arbeit erkundigen. Jean de
Vignay war ein gefragter Übersetzer am Königshof; zu den von ihm bearbeiteten
Texten gehörte auch die Chronik des Primat von St-Denis.
Einhundert Jahre nach Primat hielt Jean Corbechon in einer Übersetzung für
Karl V. fest, er „übersetze das Buch aus dem Lateinischen ins Französische so
klar wie er könne“ („translate le livre devant dit de latin en frangoiz, le plus clere-
ment que je pourroy“).56 Die Sorgfalt seiner Übersetzungsarbeit und der literari-
sche Stil seiner Arbeiten beeindrucken bis heute. Dennoch und obwohl bereits
Marc Bloch in seinem Werk über die Roi thaumaturges 1924 von ihm berichtet
hat, zählt Corechon heute zu den eher weniger bekannten Mendikanten im Um-
feld des Königshofes.57 58 59 Ähnlich steht es um den Theologen Raoul de Presles, der
als Übersetzer biblischer Texte - und in einer Illumination zur Dedikationsszene
als solcher bezeugt - sowie der Schrift De Civitate Dei des Augustinus wirkte?8
Presles gab selbst zur Kenntnis, dass er den von ihm übertragenen Stil, das gram-
matikalische Niveau und die Auswahl der Gegenstände in den Antikenzitaten
bei Augustinus für besonders anspruchsvoll halte?9
Einer der bekanntesten Übersetzer des Königs hingegen, ebenfalls schon von
Marc Bloch ausführlich vorgestellt, ist Jean Golein, Angehöriger des Kartäu-
55 Die Abbildung: BN Paris, Ms. Franc. 308, fol. 1: Les princes commanditaires. URL: http://
expositions.bnf.fr/fouquet/grand/fl81.htm - Download vom 28. Mai 2018; Guenee, Gueschn
(wie Anm. 36), S. 153-158.
56 Ribemont, Un traducteur (wie Anm. 52), Absatz 6. Carque, Stil (wie Anm. 51), S. 420.
57 Marc Bloch, Die wundertätigen Könige (franz. Original 1924, ND 1983, dt. Übers.) Mün-
chen 1998, S.170,S.258.
58 Carque, Stil (wie Anm. 51), S. 422f.
59 Ebd., S. 479.
Die Wertschätzung der gelehrten Ordensmänner als Übersetzer am Königs-
hof muss erheblich gewesen sein (Abb. 7). In einer für spätmittelalterliche Illumi-
natoren naheliegenden Perspektive der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist
in einer Handschrift von 1333 in zwei nebeneinander stehenden Szenen gezeigt,
wie der berühmte Enzyklopädist Vinzenz von Beauvais in der ersten Hälfte des
13. Jahrhunderts sein Speculum historiale schreibt und wie einhundert Jahre spä-
ter, zeitgleich zur Entstehung der Illumination, Jean de Vignay das Werk des
Vinzenz ms Französische überträgt.55 Beide sind als Mönche kenntlich gemacht,
auch wenn der gezeigte Habit ihre Ordenszugehörigkeit nicht eindeutig verrät,
bei Vinzenz, der eher wie ein Benediktiner gekleidet ist, diejenige der Dominika-
ner, bei Jean, der im Stil eines Franziskaners erscheint, diejenige eines Hospitali-
ters (Maltesers). Entscheidend war für den Illuminator, dass beide als Ordens-
männer kenntlich sind -und dass sie persönlichen Besuch von ihren Auftraggebern
bekommen, König Ludwig IX. bzw. Königin Jeanne als Ehefrau König Phil-
ipps VI., die sich persönlich nach dem Fortgang der Arbeit erkundigen. Jean de
Vignay war ein gefragter Übersetzer am Königshof; zu den von ihm bearbeiteten
Texten gehörte auch die Chronik des Primat von St-Denis.
Einhundert Jahre nach Primat hielt Jean Corbechon in einer Übersetzung für
Karl V. fest, er „übersetze das Buch aus dem Lateinischen ins Französische so
klar wie er könne“ („translate le livre devant dit de latin en frangoiz, le plus clere-
ment que je pourroy“).56 Die Sorgfalt seiner Übersetzungsarbeit und der literari-
sche Stil seiner Arbeiten beeindrucken bis heute. Dennoch und obwohl bereits
Marc Bloch in seinem Werk über die Roi thaumaturges 1924 von ihm berichtet
hat, zählt Corechon heute zu den eher weniger bekannten Mendikanten im Um-
feld des Königshofes.57 58 59 Ähnlich steht es um den Theologen Raoul de Presles, der
als Übersetzer biblischer Texte - und in einer Illumination zur Dedikationsszene
als solcher bezeugt - sowie der Schrift De Civitate Dei des Augustinus wirkte?8
Presles gab selbst zur Kenntnis, dass er den von ihm übertragenen Stil, das gram-
matikalische Niveau und die Auswahl der Gegenstände in den Antikenzitaten
bei Augustinus für besonders anspruchsvoll halte?9
Einer der bekanntesten Übersetzer des Königs hingegen, ebenfalls schon von
Marc Bloch ausführlich vorgestellt, ist Jean Golein, Angehöriger des Kartäu-
55 Die Abbildung: BN Paris, Ms. Franc. 308, fol. 1: Les princes commanditaires. URL: http://
expositions.bnf.fr/fouquet/grand/fl81.htm - Download vom 28. Mai 2018; Guenee, Gueschn
(wie Anm. 36), S. 153-158.
56 Ribemont, Un traducteur (wie Anm. 52), Absatz 6. Carque, Stil (wie Anm. 51), S. 420.
57 Marc Bloch, Die wundertätigen Könige (franz. Original 1924, ND 1983, dt. Übers.) Mün-
chen 1998, S.170,S.258.
58 Carque, Stil (wie Anm. 51), S. 422f.
59 Ebd., S. 479.