172 I Martin Kintzinger
Golein übernahm unter anderem 1371/72 die Aufgabe, das Rationale Divwo-
rum Officiorum des Wilhelmus Durandus, einen bedeutenden liturgischen Trak-
tat aus dem späten 13. Jahrhundert, zu übersetzen (Abb. 9).61 Mehrere Jahre lang
arbeitete Golein daran; 1374 legte er das Ergebnis vor, das Racional des divins
offices. Wie stets und in der bewährten Tradition seit den Zeiten des Primat, han-
delte es sich um eine gewissenhafte Übersetzung des Textes aus dem Lateini-
schen ins Französische, der es weniger um eine dichte Übertragung der Vorlage
als um eine verständliche Wiedergabe für den königlichen Leser zu tun war.
Auch dieser Text wurde daher in Auswahl geboten und eingehend kommentiert.
Eine solche Beschreibung würde auf alle in den 1370er Jahren für Karl V. er-
stellten Übersetzungen ebenso zutreffen wie der didaktische Kommentar, den
Raoul de Presles seiner französischen Version der augustinischen Schrift über die
Civitas Dei beigefügt hat: Der König könne sie lesen „pour le proufit et utilite de
vostre roiaume, de vostre pueple et de toutre crestiente“.62
Was das Racional des Golein singulär sein lässt, ist die Tatsache, dass es aus
der liturgischen Vorlage zur Gestaltung der Messe einen Traktat zur Herrscher-
weihe des Königs von Frankreich entwickelt. Golein fügte dem Racional zudem
einen als Tratte du sacre titulierten Prolog bei. Darin wird die herrschaftstheore-
tische und -theologische Konzeption zu dem 1364 verfassten und reich illustrier-
ten Livre du sacre beschrieben und sozusagen nachgetragen, der die symboli-
schen Akte der Königserhebung darstellt und in einer Art „Verfassungsdokument“
das Königreich Frankreich als Erbmonarchie in der Dynastie der Valois entwirft
und die Grundlage für die sogenannte Religion royale legt.63 Bernd Carque hat
1994 sicher zu Recht angenommen, man habe den Racional „gleichsam als eine
Anleitung zur Inszenierung und sakralen Überhöhung des Königtums gelesen“
und beispielsweise bei Kaiserbesuchen strategisch eingesetzt.64
61 Widmungsseite mit Dedikationsszene: Guillaume Durand, Rational des divins offices/Rati-
onale divinorum officiorum, BN Paris Ms Franc. 437 (1374). URL: http://www.europeanare-
gia. eu/sites/w ww.europeanaregia.eu/files/manuscr iptsZregiacharlesv_francais_437.jpg —
Download vom 29. Mai 2018; zu einer späteren Wiedergabe der Abbildung: Carque, Stil
(wie Anm. 51), S. 159.
62 Carque, Stil (wie Anm. 51), S. 422; vgl. Quillet, Charles V. (wie Anm. 60), S. 74-76.
63 Die aktuelle Edition des Textes: Jean Golein, Le Racional des divins offices de Guillaume
Durand. Livre IV., ed. Charles BRUCKER/Pierre Demarolle (Publications romanes et
franqaises 250), Genf 2010; Martin Kintzinger, Symbolique du sacre, succession royale et
participation politique en France au XVe siede, in: Francia 36, 2009, S. 91-111, bes. S. 106—
111; Carque, Stil (wie 50), S. 420, 475, 562; vgl. Alain Boureau, La religion de l’Etat. La
construction de la Republique etatique dans le discours theologique de 1’ Occident medieval
(1250-1350) (Histoire), Paris 2006.
64 Carque, Stil, ebd., S. 476.
Golein übernahm unter anderem 1371/72 die Aufgabe, das Rationale Divwo-
rum Officiorum des Wilhelmus Durandus, einen bedeutenden liturgischen Trak-
tat aus dem späten 13. Jahrhundert, zu übersetzen (Abb. 9).61 Mehrere Jahre lang
arbeitete Golein daran; 1374 legte er das Ergebnis vor, das Racional des divins
offices. Wie stets und in der bewährten Tradition seit den Zeiten des Primat, han-
delte es sich um eine gewissenhafte Übersetzung des Textes aus dem Lateini-
schen ins Französische, der es weniger um eine dichte Übertragung der Vorlage
als um eine verständliche Wiedergabe für den königlichen Leser zu tun war.
Auch dieser Text wurde daher in Auswahl geboten und eingehend kommentiert.
Eine solche Beschreibung würde auf alle in den 1370er Jahren für Karl V. er-
stellten Übersetzungen ebenso zutreffen wie der didaktische Kommentar, den
Raoul de Presles seiner französischen Version der augustinischen Schrift über die
Civitas Dei beigefügt hat: Der König könne sie lesen „pour le proufit et utilite de
vostre roiaume, de vostre pueple et de toutre crestiente“.62
Was das Racional des Golein singulär sein lässt, ist die Tatsache, dass es aus
der liturgischen Vorlage zur Gestaltung der Messe einen Traktat zur Herrscher-
weihe des Königs von Frankreich entwickelt. Golein fügte dem Racional zudem
einen als Tratte du sacre titulierten Prolog bei. Darin wird die herrschaftstheore-
tische und -theologische Konzeption zu dem 1364 verfassten und reich illustrier-
ten Livre du sacre beschrieben und sozusagen nachgetragen, der die symboli-
schen Akte der Königserhebung darstellt und in einer Art „Verfassungsdokument“
das Königreich Frankreich als Erbmonarchie in der Dynastie der Valois entwirft
und die Grundlage für die sogenannte Religion royale legt.63 Bernd Carque hat
1994 sicher zu Recht angenommen, man habe den Racional „gleichsam als eine
Anleitung zur Inszenierung und sakralen Überhöhung des Königtums gelesen“
und beispielsweise bei Kaiserbesuchen strategisch eingesetzt.64
61 Widmungsseite mit Dedikationsszene: Guillaume Durand, Rational des divins offices/Rati-
onale divinorum officiorum, BN Paris Ms Franc. 437 (1374). URL: http://www.europeanare-
gia. eu/sites/w ww.europeanaregia.eu/files/manuscr iptsZregiacharlesv_francais_437.jpg —
Download vom 29. Mai 2018; zu einer späteren Wiedergabe der Abbildung: Carque, Stil
(wie Anm. 51), S. 159.
62 Carque, Stil (wie Anm. 51), S. 422; vgl. Quillet, Charles V. (wie Anm. 60), S. 74-76.
63 Die aktuelle Edition des Textes: Jean Golein, Le Racional des divins offices de Guillaume
Durand. Livre IV., ed. Charles BRUCKER/Pierre Demarolle (Publications romanes et
franqaises 250), Genf 2010; Martin Kintzinger, Symbolique du sacre, succession royale et
participation politique en France au XVe siede, in: Francia 36, 2009, S. 91-111, bes. S. 106—
111; Carque, Stil (wie 50), S. 420, 475, 562; vgl. Alain Boureau, La religion de l’Etat. La
construction de la Republique etatique dans le discours theologique de 1’ Occident medieval
(1250-1350) (Histoire), Paris 2006.
64 Carque, Stil, ebd., S. 476.