184 I Annette Kehnel
Im folgenden soll dieser Ansatz konkretisiert werden und die Wirkmacht
klösterlichen Lebens im Mittelalter in vier Komponenten zerlegt und bearbeitet
werden: Kompetenzen - Konzepte - Modelle - Ordnungen.
3.1. Kompetenzen: Der Konvent als lokale Kommunikationszentrale
eines „internationalen" Netzwerks
Dem Konvent kam als lokale Schnittstelle der universalen Ordensgemeinschaft
die Funktion eines kommunikativen Umschlagplatzes zu.13 Der Informationsum-
satz im Bettelordenskonvent war enorm. Die Heterogenität der ein- und ausge-
henden Informationseinheiten lässt sich kaum überschauen, denn die Mitglieder
dieser Kommunikationsgemeinschaften partizipierten an den unterschiedlichs-
ten kulturellen, politischen, sozialen Lebensbereichen ihrer urbanen Umwelt
und interagierten in den unterschiedlichsten Rollen: als Prediger, Missionare,
Studenten, Magister, Legaten, Berater, Bettler, Beichtväter und in vielen anderen
Funktionen. Sie lebten in der Stadt. Suchten die Nähe nicht nur der Universitä-
ten, Höfe, Magistraten und Herrscher, sondern auch der Vagabunden, Lepra-
kranken und Prostituierten.
Nicht ohne Grund war einer der stärksten Vorwürfe gegen die Bettelbrüder
ihre Allgegenwart in der Stadt. Dieser Punkt wurde zu einem der langlebigsten
Stereotypen der „antifraternal tradition“ seit Wilhelm von Saint-Amours, De
pencuhs novissimorum temporum, 1265. Ihre Präsenz in allen gesellschaftlichen
Kreisen, die Tatsache, dass sie mit Menschen aller sozialen Schieben verkehrten,
in ihren Häusern ein und aus gingen, Räume besetzten, die einem Religiösen
nicht zugänglich sein sollten - die Gemächer der Damen ebenso wie die Dienst-
botenzimmer - bot über die Jahrhunderte reichlich Gelegenheit für Kritik, Witz
und Spott in Literatur und Satire.14
Heute würde man diesen Aspekt mendikantischer Lebensform als stark
ausgeprägte Kompetenz für kulturelle Heterogenität und soziale Vielfalt
bezeichnen. Daraus resultierte eine extreme Vernetzung der Brüder mit ihrer
unmittelbaren lokalen Umgebung, die ihrerseits zur Ausbildung komplexer
13 Annette Kehnel, Der mendikantische Konvent: Lokale Schaltstelle einer universalen Kom-
munikationsgemeinschaft. Überlegungen zum Aufbau und zur Textstruktur des Tractatus
de adventu fratrum Minorum in Angliam von Thomas von Eccleston (1258/9), in: Jens
RÖHRKASTEN/Michael Robson (Hgg.), Studien zu mendikantischen Lebensformen (Vita
Regularis 44), Münster 2010, S. 187-235, bes. S. 194-211.
14 William of Saint Amour’s De Periculis Novissimorum Temporum: Edition, Translation, and
Introduction, ed. Guy Geltner (Dallas Medieval Texts and Translations 8), Leuven 2008,
Ders., Brethren Behaving Badly: A Deviant Approach to Medieval Antifraternalism, in:
Speculum 85, 2010, S. 47-64, hier S. 62ff.
Im folgenden soll dieser Ansatz konkretisiert werden und die Wirkmacht
klösterlichen Lebens im Mittelalter in vier Komponenten zerlegt und bearbeitet
werden: Kompetenzen - Konzepte - Modelle - Ordnungen.
3.1. Kompetenzen: Der Konvent als lokale Kommunikationszentrale
eines „internationalen" Netzwerks
Dem Konvent kam als lokale Schnittstelle der universalen Ordensgemeinschaft
die Funktion eines kommunikativen Umschlagplatzes zu.13 Der Informationsum-
satz im Bettelordenskonvent war enorm. Die Heterogenität der ein- und ausge-
henden Informationseinheiten lässt sich kaum überschauen, denn die Mitglieder
dieser Kommunikationsgemeinschaften partizipierten an den unterschiedlichs-
ten kulturellen, politischen, sozialen Lebensbereichen ihrer urbanen Umwelt
und interagierten in den unterschiedlichsten Rollen: als Prediger, Missionare,
Studenten, Magister, Legaten, Berater, Bettler, Beichtväter und in vielen anderen
Funktionen. Sie lebten in der Stadt. Suchten die Nähe nicht nur der Universitä-
ten, Höfe, Magistraten und Herrscher, sondern auch der Vagabunden, Lepra-
kranken und Prostituierten.
Nicht ohne Grund war einer der stärksten Vorwürfe gegen die Bettelbrüder
ihre Allgegenwart in der Stadt. Dieser Punkt wurde zu einem der langlebigsten
Stereotypen der „antifraternal tradition“ seit Wilhelm von Saint-Amours, De
pencuhs novissimorum temporum, 1265. Ihre Präsenz in allen gesellschaftlichen
Kreisen, die Tatsache, dass sie mit Menschen aller sozialen Schieben verkehrten,
in ihren Häusern ein und aus gingen, Räume besetzten, die einem Religiösen
nicht zugänglich sein sollten - die Gemächer der Damen ebenso wie die Dienst-
botenzimmer - bot über die Jahrhunderte reichlich Gelegenheit für Kritik, Witz
und Spott in Literatur und Satire.14
Heute würde man diesen Aspekt mendikantischer Lebensform als stark
ausgeprägte Kompetenz für kulturelle Heterogenität und soziale Vielfalt
bezeichnen. Daraus resultierte eine extreme Vernetzung der Brüder mit ihrer
unmittelbaren lokalen Umgebung, die ihrerseits zur Ausbildung komplexer
13 Annette Kehnel, Der mendikantische Konvent: Lokale Schaltstelle einer universalen Kom-
munikationsgemeinschaft. Überlegungen zum Aufbau und zur Textstruktur des Tractatus
de adventu fratrum Minorum in Angliam von Thomas von Eccleston (1258/9), in: Jens
RÖHRKASTEN/Michael Robson (Hgg.), Studien zu mendikantischen Lebensformen (Vita
Regularis 44), Münster 2010, S. 187-235, bes. S. 194-211.
14 William of Saint Amour’s De Periculis Novissimorum Temporum: Edition, Translation, and
Introduction, ed. Guy Geltner (Dallas Medieval Texts and Translations 8), Leuven 2008,
Ders., Brethren Behaving Badly: A Deviant Approach to Medieval Antifraternalism, in:
Speculum 85, 2010, S. 47-64, hier S. 62ff.