Metadaten

Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0213
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die deutschsprachige Predigt der Hirsauer Reform I 209

Glossen sind die deutschen Marginalien in Codex 575, der den Nekrolog, Ge-
bete, Psalmen und das ,Canticum canticorum* enthält.35 Sie zeugen einerseits
davon, dass der Benutzer dieses Codex Deutsch als seine Erstsprache selbst im
lateinisch literalisierten Kontext verwendete, andererseits geben sie aber auch
einen weiteren Hinweis darauf, dass in Admont im 12. Jahrhundert Seelsorge in
der Volkssprache geleistet wurde, genauer: Seelsorge in der Muttersprache bei
einem Sterbenden. Dies belegt insbesondere die Gebetsanweisung, die sich als
Randantrag zum Totenoffizium findet: [das erst] in er der angest die got zv der
marter bet. Daz ander in er do er sinen vater bat daz er in der marter vberhvb.
Daz dritte in er der angest die er bet do in die ivden viengen [...]. Daz sibnt in er
der scbidvnge die sin sei von sinem Hb tet. Diese Gebetsanweisung bezieht sich
auf den Brauch, am Sterbebett das Herrengebet zu Ehren des Leidens Christi
und zum Trost des Sterbenden mehrfach zu sprechen.36 Die ,Millstätter Predig-
ten* und die Glossen sind nicht das einzige Zeugnis der Bemühungen um die
Aufzeichnung theologischer und katechetischer Texte in der Volkssprache in
Admont: Ein mit 130 Versen sehr umfangreiches deutsches Mariengebet in der
Form eines persönlichen Bußgebets ergänzt die Reihe.37 Darüber hinaus gibt es
35 Vgl. Hans Ulrich Schmid, Mittelhochdeutsches aus dem Frauenkloster Admont, in: Anne-
gret FiEBic/Hans-Jochen Schiewer (Hgg.), Deutsche Literatur und Sprache von 1050-1200.
Festschrift für Ursula Hennig zum 65. Geburtstag, Berlin 1995, S. 217-220, hier S. 219f.
36 Schmid, ebd. S. 219f. interpretierte in er (‘zu Ehren’) als iner (‘erinnere dich’, ,gedenke',
,vergegenwärtige1), auch wenn er erstere Bedeutung ebenso erwog wie die Verwendung der
Passionsmeditation im Kontext von gesprochenen Vaterunser-Gebeten. Allerdings maß er
den beiden verschiedenen Interpretationen keine grundsätzlich unterschiedliche Bedeutung
für den Gesamttext zu. Für den in dieser Untersuchung behandelten Kontext ist es jedoch
wichtig festzustellen, dass das Gebet nicht der Privatandacht diente, sondern bei der Laien-
seelsorge eingesetzt wurde: Von dem über Jahrhunderte andauernden Brauch, das Vaterunser
am Sterbebett zu Ehren der Wunden Christi zu sprechen zeugt das weitverbreitete Predigt-
märlein vom Papst und seinem Kaplan, das Eingang in das ,Speculum artis bene moriendi'
(15. Jh.) fand. In einer der deutschen Übertragungen des ,Speculum‘ lesen wir: Den ersten
pater noster sprich in den eren der grossen angst Jesu christi [...], Den anderen pater noster
sprich in den eren der marter gotes die er hett an dem creutz [...] (Von dem sterhen em nütz-
harhch hiichlein, Johann Weißenburg: Nürnberg 1520, ohne Paginierung; Hervorhebung
durch die Verf.).
37 Admont, Stiftsbibliothek, Cod. 619, Bl. 98r. Auch wenn der Codex selbst erst aus dem zwei-
ten Viertel des 13. Jahrhunderts stammt, konnte Schmid doch anhand der Sprachformen
belegen, dass die Vorlage der Abschrift in das 12. Jahrhundert zu datieren ist: Hans Ulrich
Schmid, Ein mittelhochdeutsches Reimgebet aus Admont, in: Hans-Werner EROMs/Bern-
hard GAjEK/Herbert Kolb (Hgg.), Studia Linguistica et Philologica. Festschrift für Klaus
Matzel zum 60. Geburtstag (Germanische Bibliothek, 3. Reihe), Heidelberg 1984, S. 275-283
(mit Abdruck), hier S. 276f.; Ders., Admonter Mariengebet, in: Kurt Ruh, Verfasserlexikon
(wie Anm. 10), Bd. 11 (2004), Sp. 20f. Beim vorliegenden Mariengebet haben wir es mit dem
ersten greifbaren Zeugnis einer Gebetsform zu tun, die sich mit dem Liederbuch der Clara
Hätzlerin noch bis ins 15. Jahrhundert nachweisen lässt: Das Gebet ist durch den zweimal!-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften