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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0233
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Die Welt in Geschichten erfassen I 229

tet, wird in der vierten These als Beitrag zu einer Identitäts- oder auch Gemein-
schaftsbildung angenommen. Erkennbar wird dieser Zusammenhang beispiels-
weise im Speculum historiale Vinzenz’ von Beauvais, dem chronologisch
organisierten und bis 1244 reichenden Teil seines Speculum Mains, das als Enzy-
klopädie des Weltwissens angelegt war. Wie Vincent in seinem Vorwort, der
Apologia actoris, darlegte, dient der historische Kontext vornehmlich als Rah-
mung: Nicht die Einzelberichte und Exempel stehen in seinem Werk im Vorder-
grund, sondern vielmehr ihre Eignung als Vorbild und Elandlungsanweisung.
Durch die korrekte Anordnung des weltgeschichtlichen Materials werde, so
Vincent, Geschichte verfügbar gemacht und erscheine somit gleichsam selbst als
Exempel.24
Vor diesem Hintergrund ließen sich auch Wundergeschichten, Legenden,
Heiligenviten und Exempel sinnhaft in die geschichtliche Darstellung einbin-
den. Die identitätsstiftende Funktion solcher Textpartien lässt sich nicht nur am
Inhalt, sondern auch an ihrer Verarbeitung erkennen. So ist im Falle des Specu-
lum historiale bekannt, dass Vincent die eigene Kompilation um 1250 überarbei-
tete, bestimmte Passagen hinzufügte und andere neu anordnete. In besonderer
Weise betraf dies die Abschnitte zu Franziskus und Dominikus, die in einer
früheren Fassung in vergleichbarem Umfang behandelt worden waren. In der
überarbeiteten Fassung nehmen die Abschnitte über Dominikus nicht nur deut-
lich mehr Raum ein (Erweiterung von 11 auf 29 Kapitel), sondern unterbrechen
vormals geschlossene Textabschnitte über Franziskus und rahmen diese gewis-
sermaßen ein.25 Dies zeigt beispielsweise auch die Aufnahme einer Dominikus-
Geschichte, die schon in der Legenden-Kompilation des Metzer Dominikaners
Jean de Mailly (Mitte 13. Jh.) überliefert ist. Bei einer öffentlichen Streitbegeg-
nung mit Häretikern in Südfrankreich werden eine Schrift des heiligen Domini-
kus und eine Schrift eines Häretikers laut verlesen. Die Richter des Streites ver-
fügen, dass beide Traktate verbrannt und so hinsichtlich ihres Inhaltes getestet
werden sollen. Während der Traktat des Häretikers auf Anhieb verbrennt, bleibt
die Schrift des Dominikus auch nach dreimaligem Versuch vom Feuer unver-
sehrt und erweist sich somit als Ausweis seines aufrechten Glaubens.26 Zusam-
24 Vgl. dazu Anna-Dorothee von den Brincken, Geschichtsbetrachtung bei Vincenz von Be-
auvais. Die Apologia Actoris zum Speculum Maius, in: Deutsches Archiv für Erforschung
des Mittelalters 34 (1978), S. 410-499 (ab S. 465 mit Edition der apologia, dort besonders cap.
4, 8 und 18).
25 Eine Übersicht findet sich bei Tomas Zahora, Saint-ä-porter: fashioning Saint Francis in the
encyclopedias of Vincent and Ps.-Vincent of Beauvais, in: Spicae. Cahiers de l’Atelier Vincent
de Beauvais, Nouvelle serie 2 (2012), S. 163-181, hier S. 171-172.
26 Jean de Mailly OP, Abrege des Gestes et miracles des saints, hg. von Antoine Dondaine OP
(Bibliotheque d’Histoire Dominicaine I), Paris 1947, S. 306. S. außerdem Achim Wesjo-
 
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