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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0296
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292 I Matthias M. Tischler

Kirche begründet, keine überzeugende Antwort auf das Phänomen ,Islam' ge-
funden zu haben. In den Sog dieser unbeantworteten Frage hineingezogen,
führt die schon zwischen Petrus und Bernhard erkennbare innerchristliche
und ordensgeschichtliche Konkurrenz um tragfähige, Erfolg versprechende
Deutungsangebote54 nun nicht allein zu einer Pluralisierung von religiösen
und religiösen Identitäten im Christentum, sondern zur Entstehung räumlich
und inhaltlich geschiedener Aufgabenfelder innerhalb der neuen Ordensge-
meinschaften. Insbesondere der Dominikanerorden erkannte die Grenzen sei-
ner bisherigen edukativen und kommunikativen Strukturen im Laufe der Ex-
pansion bis an die Grenzen des lateinischen Christentums. Denn im Augenblick
der Krise seiner Bildungsstrukturen reagierte er mit einer Reform seines Stu-
dienwesens, um der intellektuellen Auseinandersetzung mit Muslimen und
Juden im Nahen Osten, in Nordafrika, auf den Balearen und auf der Iberi-
schen Halbinsel gewachsen zu sein.
Gleichwohl wurden die schulischen, methodischen und literarischen Voraus-
setzungen hierfür noch vor und außerhalb der neuen Reformorden geschaffen.
Der Islamdiskurs wurde nicht nur seit den 1220er Jahren erstmals in den frühen
universitären Rahmen der scholastischen Theologie und damit in die klerikale
Bildungswelt überführt.55 56 Mit der offenkundigen Krise des christlich-jüdischen
Glaubensgesprächs und in Folge des weiterhin ausbleibenden Dialogs mit den
Muslimen verzichtet dieses Milieu nun auffallend auf weitere literarische Kon-
zeptionalisierungen dieser traditionellen Gesprächsform36 und wendet sich
scholastischen Formen der Bekämpfung von Häresie und Heidentum im inno-
vativen Genre des Glaubens- und Gesetzestrakats (De fide et legibus) zu. Als
Teil der neuen hochscholastischen Summen fokussiert er nicht mehr wie der für
sich stehende patristische Glaubenstraktat (De fide) allein auf den christlichen
Glauben, sondern vergleicht nun konsequent auch die verschiedenen Religions-
gesetze („leges“). Mit der erstmaligen Einbeziehung des Qur’än („lex Mahometi“)
54 Schlüsselzeugnis für die angestrebte Meinungsführerschaft in diesem Ringen ist Petrus’ aus-
führliche Epistola 111 an Bernhard von Clairvaux vom späten Frühjahr bzw. frühen Sommer
1144, die ein traktatartiges Plädoyer für das cluniazensische Mönchtum und seine Aufgaben,
nicht zuletzt aber ein (erneutes) Einladungsschreiben an den Zisterzienserabt zur Mitarbeit
an der Häresie- und Islambekämpfung ist; vgl. Gillian R. Knight, The correspondence be-
tween Peter the Venerable and Bernard of Clairvaux. A semantic and structural analysis
(Church, Faith and Culture in the Medieval West), Aldershot 2002, S. 101-153.
55 Eine Schlüsselfigur dürfte Wilhelm von Auvergne, Bischof von Paris (1228-1249), gewesen
sein, der ein Landsmann des Petrus Venerabilis war; vgl. Tischler, Orte des Unheiligen (wie
Anm. 31), S. 47; Ders., Koranübersetzung (wie Anm. 48), S. 46 und 49.
56 Dieses auffallende Phänomen wird in der dichten Studie von Alex J. Novikoff, The medie-
val culture of disputation. Pedagogy, practice, and performance (The Middle Ages Series),
Philadelphia (Pa.) 2013, S. 133-221 leider nicht thematisiert.
 
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