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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0047
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II. Das Werk

vergleichbar ist ein chronologisches Ordnungsschema, in das vornehmlich historische
Exempel zur Ausgestaltung zeitlicher Abläufe (nicht aber historiographischer Zusam-
menhänge) eingeflochten wurden, wie zum Beispiel im Fall des Speculum historiale
des Dominikaners Vincent von Beauvais (gest. um 1264).30 Analog zu diesen beiden
Ordnungsschemata zeichnet schließlich einen dritten Typus die Orientierung an sozi-
alen oder ständischen Kategorien aus; neben klassischen Exempel-Büchern ad Status
lässt sich hier in gewisser Weise auch das an einer zweigliedrigen Gesellschaftshier-
archie ausgerichtete Bonum universale de apibus des Thomas von Cantimpre veror-
ten.31 Schließlich sei auf zwei gegensätzliche Typen verwiesen, die keinem übergeord-
neten Deutungsschema, sondern vielmehr Aspekten der Nutzung und Anwendbarkeit
folgen: Einerseits eine alphabetische Anordnung von Exempeln nach den Stichworten
ihrer Hauptaussage, wie sie etwa Arnold von Lüttich (gest. 1308) in seinem Alphabe-
tum narrationum vornahm,32 oder andererseits eine thematisch ungeordnete Zusam-
menstellung oder Aneinanderreihung von Exempeln, wie sie beispielsweise in der
Kompilation eines anonymen Dominikaners aus Cambridge zu finden ist.33
Unabhängig von dem jeweiligen Ordnungsschema zeichnet alle Textsammlungen
eine konzeptionelle Spannung aus: So steht dem Anspruch, einzelne Beispiele sinn-
haft zu einem Erzählzusammenhang bzw. einer Gesamtstruktur anzuordnen (die
dem mittelalterlichen Leser/Hörer, der den Text vornehmlich auszugsweise konsu-
mierte, im gesamten Umfang wahrscheinlich gar nicht einsichtig war) die Herausfor-
derung gegenüber, die einzelnen Beispiele so auszuwählen, dass ein lebensweltlicher
Konnex rasch begreifbar und jede Geschichte für sich verstehbar war.
Auf besonders eindrückliche Weise wurde diese Spannung von dem Prediger Ja-
kob von Vitry (1160/70-1240) bewältigt (s. zu ihm auch Kapitel 1.2.). Seine Sermones
feriales et communes, die sogenannten „Wochentags- und Alltagspredigten“, waren
als Abfolge von Modellpredigten über die Schöpfung Gottes und die Sünden des
Menschen konzipiert.34 Trotz dieses übergeordneten theologischen Rahmens ließ Ja-
kob von Vitry das bunte Spektrum seiner Exempel eher ungeordnet aufscheinen,
orientiert vor allem an einzelnen biblischen Aussagen und moralischen Belehrun-
gen.35 Dies wird auch im Prolog der Sermones feriales et communes deutlich, in dem

30 Zu Vincent s. die Beiträge in Lector et compilator, hg. Lusignan/Duchenne.
31 S. dazu Menzel, „Historiarum armarium“, S. 8f. mit Beispielen für ständisch organisierte Exem-
pelschriften sowie Muessig, Audience and Preacher.
32 S. zum Werk Jones, Preaching laughter sowie Brilli, Introduction, S. XIII-XLII.
33 Forte, A Cambridge Dominican CoIIector.
34 Die Sermones sind insgesamt dreimal ediert worden, von Goswin Frenken, Joseph Greven und
auszugsweise von Carolyn Muessig (Sermo 1-14: feriales). Im Folgenden wird nach der Ausgabe
von Greven zitiert und die Konkordanz mit Frenken angegeben. Grundlegend zu den Predigten
Jakobs: Muessig, Audience and Sources sowie Muessig, The Sermones, Bd. 1.
35 Vgl. dazu die Darstellung bei Greven: „Dieser weitgespannte Rahmen bietet dem Prediger Raum,
sein ganzes, wohl meist aus seiner Pariser Magisterzeit stammendes Wissen in buntem Wechsel
 
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