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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0054
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II.2. Bienen und Ameisen als Sinnbild der vollkommenen Gemeinschaft

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Darstellung tierischer Kommunitäten als Vorbilder, Vergleichsobjekte oder Projekti-
onsflächen für menschliche Gemeinschaften zu sein.56
Auch im Mittelalter wurden immer wieder tierische Kollektive, insbesondere
aber die der Bienen und Ameisen, als Referenzgrößen für Prinzipien des menschli-
chen Zusammenlebens herangezogen; ein reichhaltiger Forschungsdiskurs kündet
von der Anziehungskraft dieses Themas.57 Anstelle einer umfassenden Untersu-
chung der Tierallegorie im Mittelalter soll im Folgenden anhand ausgewählter Bei-
spiele aus dem 12. und 13. Jahrhundert dargelegt werden, wie und warum mittel-
alterliche Autoren diese Tiere als Spiegel, Vorbilder oder auch Gegenentwürfe
menschlicher Gemeinschaften ausdeuteten und inwiefern man „von Bienen lernen“
konnte oder sollte.
IL2.1. Von Bienen lernen: Antike Vorlagen und methodische Annäherungen
Die Auswahl von Bienen und Ameisen für Allegorien hat eine lange Tradition, wenn
es um das gemeinschaftliche Leben dieser Tiere und seine Übertragbarkeit auf
menschliche Zusammenhänge geht. Entsprechende Bezugnahmen finden sich bereits
in zahlreichen antiken Schriften.
Ganz wesentlich ist dies auf Aristoteles (384-322 v. Chr.) und seine zoologische
Schrift Historia animalium zurückzuführen. Sie wurde um 1210 von Michael Scotus
(gest. 1235) aus dem Arabischen ins Lateinische sowie um 1260 von Wilhelm von
Moerbeke (1215-1286) aus dem Griechischen ins Lateinische übertragen. In insge-
samt neun Büchern versuchte Aristoteles in seiner Historia, jegliche Lebewesen zu
beschreiben, zu klassifizieren und ihre spezifische Lebensform aufzuzeigen.58 Gleich
im ersten Buch findet sich jene Grundannahme, die auch Aristoteles’ politische
Schriften maßgeblich geprägt hat - nämlich das Verständnis des Menschen als eines
„politischen Tieres“: „[Bei Tieren] gibt es Unterschiede in Bezug auf ihre Lebens-
weise und ihre Tätigkeit. So sind nämlich einige Herdentiere, andere leben einzeln.
[...] Der Mensch hat an beidem teil. ,Politisch‘ sind diejenigen, bei denen es ein ge-
meinsames Werk gibt; dies machen aber nicht alle Herdentiere. So beschaffen sind
nur der Mensch, die Biene, die Wespe, die Ameise, der Kranich. Und diese befinden
56 S. Werber, Ameisengesellschaften, S. 7-20 sowie Seeley, Bienendemokratie.
57 Grundlegend: Münsch, Tiersymbolik, Peil, Untersuchungen sowie Struve, Bedeutung und Funk-
tion des Organismusvergleichs. Mit Bezug auf die Bienenallegorie s. Ille operuni custos, hg. En-
gels/Nicolaye; Domanski, Bienen-Metapher, Gindele, Bienen-, Waben- und Honigvergleiche,
Misch, Apis est animal, Hana, Fortleben (mit Bezug auf arabische Literatur), Klausnitzer, Von
Bienen fabeln, Burke, Fable of the Bees, Roling, Geometrie der Bienenwabe, Schumacher, Majas
Ahnenfrauen sowie Stutvoet-Joanknecht, Bijen als wegwijzers. Mit einem Fokus auf antike Kon-
zepte zu „sozialen Insekten“ s. neuerdings die fundierte Studie von Berrens, Soziale Insekten.
58 S. dazu Hünemörder, Art. „Aristoteles“ sowie zur Rezeptionsgeschichte im 13. Jahrhundert die
Beiträge in Aristotle’s animals, hg. Steel.
 
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