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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0057
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56

II. Das Werk

diese projiziert. Damit bestellt die Möglichkeit einer Rückübertragung der Gesell-
schaftsvision, die mittels der Tierallegorie entworfen wurde, auf die eigene Gegen-
wart - „Bildprojektion und -reflexion [...] durchdringen sich gegenseitig.“66
Aus dieser wechselseitigen Abhängigkeit musste bzw. muss nicht immer auch eine
klare Handlungsmaxime für die eigene Gegenwart abzuleiten sein. So wurde bei-
spielsweise der Bienenschwarm in der Antike zwar zumeist mit menschlichen Attri-
buten charakterisiert; die Empfehlung einer bestimmten Staatsform war darin aber
nicht unbedingt gleich erkennbar67 Ein Beispiel hierfür sind die Georgien, das um
30 v. Chr. entstandene landwirtschaftliche Lehrgedicht des Publius Vergilius Maro
(70 v. Chr-19 v. Chr.), in dem Natur und Landleben als poetisiertes Abbild der kos-
mischen Ordnung beschrieben werden.68 Buch IV der Georgien ist den Prinzipien
der Bienenzucht gewidmet und im Gesamtwerk als Symbolisierung der Position des
Menschen in jenem Kosmos zu verstehen. Dem „kleinen“ Untersuchungsgegenstand
der Biene entsprechend umfasst auch der Prolog zu diesem Buch nur wenige Verse69
Die Bienengemeinschaft wird in erster Linie vermenschlicht und soziomorph be-
schrieben und erscheint so gleichsam als „Idealisierung menschlichen Lebens“.70
Eine explizite Übertragung auf die sozialen Verhältnisse des Menschen oder die kon-
kreten Zeitumstände des Autors (die römischen Bürgerkriege) erfolgt freilich nicht;
dennoch wurde vermutet, dass Vergil mit seiner auf den Gemeinsinn der Bienen
konzentrierten Schilderung eine Wiederherstellung der staatlichen Ordnung dichte-
risch einmahnen wollte.71
In ähnlicher Weise „vermenschlicht“ erscheint die Gemeinschaft der Bienen in der
Nnturnlis historia, der um 77 n. Chr. entstandenen „Naturgeschichte“ des römischen
Gelehrten Gaius Plinius Secundus (23/24-79 n. Chr.).72 Im elften Buch seines insge-
66 Zitat aus Peil, Bienenstaat, S. 182. In Bezug auf die moderne Insektenkunde verweist Niels Wer-
ber jedoch zu Recht einschränkend auf den Paradigmenwechsel des 20. Jahrhunderts: „von Vor-
stellungen der Organisation durch Hierarchiebildungen, Zentralisierung, Planung und Top-Down-
Steuerung zu Konzepten der Selbstorganisation und verteilter Intelligenz. Es wäre leichtsinnig, in
diesem Wechsel nur mehr einen Reflex auf gesellschaftlichen Wandel zu sehen, denn nach dem
soziostrukturellen Pendant eines verteilten, dezentralen, sich selbst steuernden Schwarms wird
man sich in der Gesellschaft des 20. Jahrhunderts wohl vergeblich unischauen.“ Werber, Ameisen-
gesellschaften, S. 24.
67 Peil, Bienenstaat, S. 239f. S. zudem Berrens, Soziale Insekten, S. 67-86.
68 Zum Werk s. von Albrecht, Vergil, S. 65-106. S. zur Bienenmetapher darin Nicolaye, Sed inter
omnia, S. 127-130.
69 Verg. georg. 4, 1-7, s. besonders 6-7: in tenui labor, at tenus non gloria, siquem / numina laeva
sinunt auditque vocatus Apollo. S. auch von Albrecht, Vergil, S. 73.
70 S. beispielsweise Verg. georg. 4, 149-218 (Darstellung des Staatswesens). Zitat aus Olbertz, Illum
admirantur, S. 100. S. auch die Überlegungen bei Dahlmann, Bienenstaat sowie Klek/Armbrus-
ter, Bienenkunde II, S. 21-35.
71 Olbertz, Illum admirantur, S. 101.
72 S. zu Plinius Winkler, C. Plinius Secundus. Zur Bienenmetaphorik in seinem Werk s. Nicolaye,
Sed inter omnia, S. 131-132 sowie Berrens, Soziale Insekten, S. 265-302.
 
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