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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0061
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II. Das Werk

Gelehrten der Zeit wie Wilhelm von Conches, Gilbert von Poitiers oder Petrus
Abaelard sowie einer eigenen Lehrtätigkeit wurde Johannes 1147 zum Priester ge-
weiht und trat in den Dienst des Erzbischofs Theobald von Canterbury.87 Nach Tätig-
keiten als Sekretär und als Gesandter bei der Kurie avancierte Johannes auch zum
Vertrauten von Theobalds Nachfolger Thomas Becket.
Die von Becket propagierte Freiheit der englischen Kirche und ihre enge Bindung
an das Papsttum führte - dies ist weithin bekannt - Mitte des 12. Jahrhunderts zu
einer grundlegenden Auseinandersetzung mit König Heinrich II., die nach Jahren des
Konflikts und Exils mit Beckets Ermordung in der Kathedrale von Canterbury enden
sollte.88 Johannes von Salisbury versuchte zwar mäßigend auf die Konfliktparteien
einzuwirken, sollte seinen Dienstherren aber schließlich ins französische Exil beglei-
ten und wurde nach dessen Tod Bischof von Chartres. Auf die erbitterten Streitigkei-
ten zwischen König und Bischof reagierte Johannes in den 1150er Jahren mit der
Abfassung des Policraticus, eines moralkritischen Traktats, der sich mit den theore-
tischen Anforderungen und praktischen Erfordernissen von Politik und Herrschaft
auseinandersetzte. Erkennbar ist der Policraticus von der berühmten Naturlehre und
Kosmologie der Schulen von Chartres und Paris geprägt: So entwickelte Johannes
aus dem Vorbild der Natur ein organologische Staatsmodell, das letztlich das Prinzip
einer monarchischen Ordnung bestätigen sollte.89
In Kapitel 21 des sechsten Buches demonstrierte Johannes dieses Konzept anhand
des Bienenstaats. In Anlehnung an Platon und Cicero argumentiert er einleitend, dass
staatliches Leben die Natur schlichtweg nachahmen müsse, weil diese „die beste
Führerin in der Lebenspraxis“ sei. Folge man im Politischen der Natur nicht, so sei
man „nicht nur unzivilisiert, sondern mehr noch tierisch und wild.“ Ein geordnetes
Gemeinwesen, klare Regeln und Strukturen - Aspekte, die üblicherweise mit Begrif-
fen wie „zivilisiert“ oder gar „kultiviert“ verbunden werden, sind hier unmissver-
ständlich der Natur zugeschrieben. Ihr attribuiert Johannes damit eine gleichsam nor-
mative Qualität. Im weiteren Text folgt ein langes Zitat aus Vergils Georgica, das
Johannes als positive „Anleihe“ und „Vorbild für das staatliche Leben“ bezeichnet und
am Ende des Kapitels deshalb seinem Leser besonders anempfiehlt.90 Beschrieben
87 S. Giraud/Mews, John of Salisbury and the Schools.
88 S. dazu Duggan, Thomas Becket sowie in Bezug auf Johannes’ Verhältnis zu Thomas Becket Bol-
lermann/Nederman, John of Salisbury.
89 Zu Johannes s. Goetz, Art. „Johannes v. Salisbury“, Seit, Einleitung, Struve, Bedeutung und
Funktion des Organismusvergleichs, Swinford, Dream Interpretation, sowie von Moos, Geschich-
te als Topik, S. 134-143. S. außerdem die Beiträge in: A companion, hg. Grellard/Lachaud.
90 Zitiert wird nach der Ausgabe von Webb (1909), denn die aktuelle Ausgabe von Keats-Rohan
(1993) umfasst lediglich die Bücher I-IV: loh. Saresb. polier. VI, 21, 619a-619c, 1. 29-5: Scripse-
runt de re publica etsi diuerso modo Cicero et Plato, cum alter qualis esse debeat disseruerit, alter
qualis fuerit a maioribus instituta. Hane tarnen uterque et institutae et instituendae praescripsit
formulam, ul uita ciuilis naturam imitetur quam optimam uiuendi ducem saepissime nominauimus.
Alioquin non modo inciuilis sedpotius bestialis et bruta rite uocabitur. Quae sit autem naturae
 
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