II.2. Bienen und Ameisen als Sinnbild der vollkommenen Gemeinschaft
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werden darin nicht nur Aufgaben und Tätigkeiten der Bienen oder Formen der Unter-
kunft, Nahrung und Honigproduktion, sondern auch das Prinzip der wechselseitigen
Abhängigkeit: So wählt das Bienenvolk den König und schuldet ihm ab diesem Mo-
ment während seines gesamten Lebens Gehorsam. Daraus leitet Johannes an anderer
Stelle sogar die Pflicht ab, auch einem schlechten oder nachlässigen Herrscher Folge
zu leisten.91
Das Bild der Bienen wird auch im darauffolgenden Kapitel, welches sich mit der
innerstaatlichen Ordnung und ihren Amtsträgern beschäftigt, herangezogen. Am
Beispiel der Gründung von Karthago unter der sagenumwobenen Königin Dido - er-
neut eine Anleihe bei Vergil und seinem Bienenmodell92 - zeigt Johannes die Erfor-
dernis gemeinsamer Aktivitäten unter Anleitung eines Herrschers auf: „Ohne Klug-
heit und Sorgfalt macht der Staat nämlich nicht nur keine Fortschritte; vielmehr hat
auch nicht der kleinste Haushalt Bestand.“93 Ein Exkurs über die für Herrscher not-
wendige Klugheit, in dem Johannes an die Sagengestalten Odysseus und Aeneas er-
innert, führt schließlich zu einem Plädoyer für einen Anteil aller am Gemeinweisen:
„Auf diese Weise werden die Bürger durch mannigfaltige Beschäftigungen in An-
spruch genommen und, solange die Pflichten aller einzelnen so erfüllt werden, dass
[dabei] für die Allgemeinheit Fürsorge getragen wird, solange die Gerechtigkeit hei-
lig gehalten wird, erfüllt die Süße des Honigs die Ziele aller [Bürger].“94
Das von Johannes entworfene Bild einer Bienengemeinschaft bzw. vielmehr seine
Ausdeutung des Vergil’schen Bildes erinnert an die Argumentation von Aristoteles:
Das Gemeinwirken der Beteiligten unter Befolgung gemeinsamer Prinzipien wie Ge-
rechtigkeit und Fürsorge erscheint als vorbildhaft, und erst die Mitarbeit und Fürsorge
aller Beteiligten (das heißt der Bürger bzw. Bienen) konstituiert den Nutzen der Allge-
meinheit. Der Lohn für diese Bemühungen besteht in der „Süße des Honigs“, die als
Symbol eines fruchtbaren gemeinsamen Schaffens vor Augen steht. Die zugrunde
gelegte Analogie (Bienen = Bürger, Bienenkönig = Menschenkönig) ist offensichtlich
und erlaubt eine politische Darlegung ohne explizite Partizipationsaufforderung. In
institutio, ipsa rationis expertia monstrare sufficiunt. Übersetzung nach Johannes von Salisbury,
hg. Seit, S. 289. S. zudem Hermand-Schebat, John of Salisbury, bes. S. 205-209.
91 S. dazu Peil, Bienenstaat S. 218 sowie Nederman, John of Salisbury’s Political Theory, bes. S. 278-
288.
92 Verg. Aen. 1, 430-436 sowie Verg. georg. 4, 162-169. S. Johannes von Salisbury, hg. Seit, S. 423.
93 loh. Saresb. polier. VI, 22, 620d, 1. 16-17: Nam sine prudentia et sollicitudine non modo res publica
non procedit sed nec minima consistit domus. Übersetzung nach Johannes von Salisbury, hg. Seit,
S. 297.
94 loh. Saresb. polier. VI, 22, 621d, 1. 19-21: Ita uariis tenentur occupationibus eines et dum sic
coluntur officia singulorum ul uniuersitati prospiciatur, dum iustitia colitur, fines omnium mellea
dulcedoperfundit. Übersetzung nach Johannes von Salisbury, hg. Seit, S. 299.
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werden darin nicht nur Aufgaben und Tätigkeiten der Bienen oder Formen der Unter-
kunft, Nahrung und Honigproduktion, sondern auch das Prinzip der wechselseitigen
Abhängigkeit: So wählt das Bienenvolk den König und schuldet ihm ab diesem Mo-
ment während seines gesamten Lebens Gehorsam. Daraus leitet Johannes an anderer
Stelle sogar die Pflicht ab, auch einem schlechten oder nachlässigen Herrscher Folge
zu leisten.91
Das Bild der Bienen wird auch im darauffolgenden Kapitel, welches sich mit der
innerstaatlichen Ordnung und ihren Amtsträgern beschäftigt, herangezogen. Am
Beispiel der Gründung von Karthago unter der sagenumwobenen Königin Dido - er-
neut eine Anleihe bei Vergil und seinem Bienenmodell92 - zeigt Johannes die Erfor-
dernis gemeinsamer Aktivitäten unter Anleitung eines Herrschers auf: „Ohne Klug-
heit und Sorgfalt macht der Staat nämlich nicht nur keine Fortschritte; vielmehr hat
auch nicht der kleinste Haushalt Bestand.“93 Ein Exkurs über die für Herrscher not-
wendige Klugheit, in dem Johannes an die Sagengestalten Odysseus und Aeneas er-
innert, führt schließlich zu einem Plädoyer für einen Anteil aller am Gemeinweisen:
„Auf diese Weise werden die Bürger durch mannigfaltige Beschäftigungen in An-
spruch genommen und, solange die Pflichten aller einzelnen so erfüllt werden, dass
[dabei] für die Allgemeinheit Fürsorge getragen wird, solange die Gerechtigkeit hei-
lig gehalten wird, erfüllt die Süße des Honigs die Ziele aller [Bürger].“94
Das von Johannes entworfene Bild einer Bienengemeinschaft bzw. vielmehr seine
Ausdeutung des Vergil’schen Bildes erinnert an die Argumentation von Aristoteles:
Das Gemeinwirken der Beteiligten unter Befolgung gemeinsamer Prinzipien wie Ge-
rechtigkeit und Fürsorge erscheint als vorbildhaft, und erst die Mitarbeit und Fürsorge
aller Beteiligten (das heißt der Bürger bzw. Bienen) konstituiert den Nutzen der Allge-
meinheit. Der Lohn für diese Bemühungen besteht in der „Süße des Honigs“, die als
Symbol eines fruchtbaren gemeinsamen Schaffens vor Augen steht. Die zugrunde
gelegte Analogie (Bienen = Bürger, Bienenkönig = Menschenkönig) ist offensichtlich
und erlaubt eine politische Darlegung ohne explizite Partizipationsaufforderung. In
institutio, ipsa rationis expertia monstrare sufficiunt. Übersetzung nach Johannes von Salisbury,
hg. Seit, S. 289. S. zudem Hermand-Schebat, John of Salisbury, bes. S. 205-209.
91 S. dazu Peil, Bienenstaat S. 218 sowie Nederman, John of Salisbury’s Political Theory, bes. S. 278-
288.
92 Verg. Aen. 1, 430-436 sowie Verg. georg. 4, 162-169. S. Johannes von Salisbury, hg. Seit, S. 423.
93 loh. Saresb. polier. VI, 22, 620d, 1. 16-17: Nam sine prudentia et sollicitudine non modo res publica
non procedit sed nec minima consistit domus. Übersetzung nach Johannes von Salisbury, hg. Seit,
S. 297.
94 loh. Saresb. polier. VI, 22, 621d, 1. 19-21: Ita uariis tenentur occupationibus eines et dum sic
coluntur officia singulorum ul uniuersitati prospiciatur, dum iustitia colitur, fines omnium mellea
dulcedoperfundit. Übersetzung nach Johannes von Salisbury, hg. Seit, S. 299.