II.3. Die ideale Gemeinschaft
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und ihren Zukunftsoptionen an.123 Gezielt wurden dabei zunächst ganz eigene Ant-
worten auf die Herausforderungen der Zeit gesucht. Vor dem Hintergrund dieser Be-
mühungen um eine Stärkung der Ordensidentität kann das „Bienenbuch“ durchaus
als ein programmatisches Unterfangen gelesen werden: Hier wurden künftigen Do-
minikanergenerationen Kenntnisse über Wesen, Aufgaben und Funktionsmechanis-
men des Predigerordens didaktisch präsentiert sowie ein nützlicher Erzählstoff an die
Hand gegeben, mit dessen Hilfe die „neue Lebensform“ der Dominikaner (und mit-
hin auch die der Franziskaner) weiterzutragen und gegenüber Kritikern zu rechtferti-
gen war.124
In den Fußstapfen Senecas: Die Quellen des „Bienenbuchs“
Ebenso wie die ordenspolitische Orientierung des Autors legt der Widmungsbrief
aber auch offen, dass das „Bienenbuch“ keinesfalls nur als apologetische Streitschrift
zur mendikantischen Eigengeschichtsschreibung zu verstehen ist. Vielmehr ging es
Thomas von Cantimpre ganz grundsätzlich um die Beschreibung der idealen Lebens-
weise menschlichen Zusammenlebens im Allgemeinen und klösterlicher Gemein-
schaften im Besonderen. Möglicherweise schrieb er deshalb die Initiative zur Abfas-
sung des Werkes nicht etwa einem bestimmten Ordensbruder, sondern allgemein
„seinen Bekannten“ zu, die ihn (erneut klingt hier die topische Bescheidenheit des
Autors an) „dringlichst“ zur Abfassung gedrängt hätten.125
Zur Darlegung von Grundsätzen des sozialen Miteinanders griff Thomas auf das
Vorbild der Bienengemeinschaft zurück. Gezielt legte er dabei seine Quellen offen
und reihte sich damit gleich in eine illustre Reihe prominenter Denker ein: Neben
seinem eigenen „Buch der Natur“, auf das noch näher einzugehen sein wird, nannte
Thomas Aristoteles, Solinus, Plinius, Basilius den Großen, Ambrosius von Mailand
und Jakob von Vitry.126
Während sich die Bezugnahmen auf Plinius und Ambrosius v. a. über die Eigenzi-
tate des Thomas aus seiner Naturenzyklopädie Liber de natura rerum nachweisen
lassen,127 nehmen die Schriften Senecas im „Bienenbuch“ einen besonderen Stellen-
wert ein. Zu den Anlehnungen an Seneca gehört zum einen die Übertragung verschie-
dener Annahmen über Bienen aus Senecas politischer Mahnschrift De clementia, wie
123 S. hierzu Wesjohann, Mendikantische Gründungserzählungen sowie die Ausführungen in Kapi-
tel 1.3.
124 S. dazu Dücker, Vorstellungen von Gemeinschaft sowie Burkhardt, Welt der Mendikanten.
125 Thom. Cantimpr. BUA prol.: Rogatus instantissime a quibusdam familiaribus meis librum de
prelatis et subditis multa sollicitudine et labore conscripsi.
126 Thom. Cantimpr. BUA prol.: ... in quo capitulum de apibus secundum philosophos Aristotilem,
Solinum, Plinium, magnum Basilium, Ambrosium Episcopum et lacobum Aconensem cum magna
consideratione perspexi. S. zur dahinterstehenden Typologie Berlioz/Polo de Beaulieu, Les
prologues, bes. S. 290-304.
127 S. zu diesen Vorlagen ausführlich Pollini, Les proprietes, S. 267-268.
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und ihren Zukunftsoptionen an.123 Gezielt wurden dabei zunächst ganz eigene Ant-
worten auf die Herausforderungen der Zeit gesucht. Vor dem Hintergrund dieser Be-
mühungen um eine Stärkung der Ordensidentität kann das „Bienenbuch“ durchaus
als ein programmatisches Unterfangen gelesen werden: Hier wurden künftigen Do-
minikanergenerationen Kenntnisse über Wesen, Aufgaben und Funktionsmechanis-
men des Predigerordens didaktisch präsentiert sowie ein nützlicher Erzählstoff an die
Hand gegeben, mit dessen Hilfe die „neue Lebensform“ der Dominikaner (und mit-
hin auch die der Franziskaner) weiterzutragen und gegenüber Kritikern zu rechtferti-
gen war.124
In den Fußstapfen Senecas: Die Quellen des „Bienenbuchs“
Ebenso wie die ordenspolitische Orientierung des Autors legt der Widmungsbrief
aber auch offen, dass das „Bienenbuch“ keinesfalls nur als apologetische Streitschrift
zur mendikantischen Eigengeschichtsschreibung zu verstehen ist. Vielmehr ging es
Thomas von Cantimpre ganz grundsätzlich um die Beschreibung der idealen Lebens-
weise menschlichen Zusammenlebens im Allgemeinen und klösterlicher Gemein-
schaften im Besonderen. Möglicherweise schrieb er deshalb die Initiative zur Abfas-
sung des Werkes nicht etwa einem bestimmten Ordensbruder, sondern allgemein
„seinen Bekannten“ zu, die ihn (erneut klingt hier die topische Bescheidenheit des
Autors an) „dringlichst“ zur Abfassung gedrängt hätten.125
Zur Darlegung von Grundsätzen des sozialen Miteinanders griff Thomas auf das
Vorbild der Bienengemeinschaft zurück. Gezielt legte er dabei seine Quellen offen
und reihte sich damit gleich in eine illustre Reihe prominenter Denker ein: Neben
seinem eigenen „Buch der Natur“, auf das noch näher einzugehen sein wird, nannte
Thomas Aristoteles, Solinus, Plinius, Basilius den Großen, Ambrosius von Mailand
und Jakob von Vitry.126
Während sich die Bezugnahmen auf Plinius und Ambrosius v. a. über die Eigenzi-
tate des Thomas aus seiner Naturenzyklopädie Liber de natura rerum nachweisen
lassen,127 nehmen die Schriften Senecas im „Bienenbuch“ einen besonderen Stellen-
wert ein. Zu den Anlehnungen an Seneca gehört zum einen die Übertragung verschie-
dener Annahmen über Bienen aus Senecas politischer Mahnschrift De clementia, wie
123 S. hierzu Wesjohann, Mendikantische Gründungserzählungen sowie die Ausführungen in Kapi-
tel 1.3.
124 S. dazu Dücker, Vorstellungen von Gemeinschaft sowie Burkhardt, Welt der Mendikanten.
125 Thom. Cantimpr. BUA prol.: Rogatus instantissime a quibusdam familiaribus meis librum de
prelatis et subditis multa sollicitudine et labore conscripsi.
126 Thom. Cantimpr. BUA prol.: ... in quo capitulum de apibus secundum philosophos Aristotilem,
Solinum, Plinium, magnum Basilium, Ambrosium Episcopum et lacobum Aconensem cum magna
consideratione perspexi. S. zur dahinterstehenden Typologie Berlioz/Polo de Beaulieu, Les
prologues, bes. S. 290-304.
127 S. zu diesen Vorlagen ausführlich Pollini, Les proprietes, S. 267-268.