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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0071
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70

II. Das Werk

z. B. der These der Stachellosigkeit des Königs (s. hierzu Kapitel II.2.1. sowie III.3.2.,
„Der Bienenkönig“). Zum anderen finden sich in mehreren Kapiteln des „Bienen-
buchs“ längere Passagen, die beinahe collagenartig aus den Epistulae morales
Senecas oder aber den seiner Autorschaft zugeschriebenen Sprichworten zusammen-
gestellt sind.128
Dies wirft die Frage nach möglichen Vorlagen des Thomas auf. Es ist bekannt,
dass insbesondere die moralischen Schriften Senecas einen wichtigen Stellenwert im
mittelalterlichen curriculum hatten.129 Wesentliche Gründe für die Beliebtheit dieser
Texte dürften ihre lebensnahen Themen (z.B. Essen, Körper, Bewegung und Ge-
sundheit; Krankheit und Tod; Freundschaft; Freiheit und Sklaverei) sowie der einfa-
che und eingängliche Sprachstil Senecas gewesen sein.130 Entsprechend waren auch
Senecas Epistulae morales, die um 62. n. Chr. verfasste Sammlung von Briefen an
seinen Freund Lucilius, bereits im Mittelalter weit verbreitet. Auch in klösterlichen
Kontexten entstanden zahlreiche Abschriften dieser Korrespondenz.131 Zumeist wur-
de die heute als geschlossene Sammlung betrachtete Zusammenstellung der Briefe
allerdings in zwei Teilen überliefert, in der Regel aufgeteilt in Brief 1-88 und Brief
89-124.132 Da die im „Bienenbuch“ nachweisbaren Zitate aus den Epistulae morales
verschiedenen Briefen aus beiden Teilen zuzuordnen sind, müsste Thomas von Can-
timpre demnach Zugang zu mehreren Codices mit Seneca-Schriften gehabt haben.133
Betrachtet man seinen Umgang mit den Sentenzen Senecas jedoch näher, so offen-
bart sich eine zweite Möglichkeit der Überlieferung. Thomas von Cantimpre verwies
nämlich nicht immer in gleicher Form auf die Quelle seiner Zitate. Während sich an
einigen Stellen des „Bienenbuchs“ konkrete Hinweise auf den Urheber in Form von
dicit Seneca finden,134 wird an anderen Stellen lediglich allgemein auf einen Philoso-
phen (dicitphilosophus) verwiesen.135 Diese Inkonsistenz legt nahe, dass Thomas von
Cantimpre gar nicht auf Kopien der Epistulae morales, sondern möglicherweise auf
ein mittelalterliches Kompendium moralphilosophischer Sentenzen zurückgriff, wie
128 S. beispielsweise Thom. Cantimpr. BUA 1,1,1, ebd. 1,10,2 oder ebd., 1,21,2.
129 S. hierzu Franquiz, Place of Seneca sowie Mayer, Seneca Redivivus.
130 S. hierfür (mit Blick auf die Seneca-Rezeption im mittelalterlichen Spanien) Blüher, Seneca in
Spanien, bes. S. 42-55.
131 S. für den zisterziensischen Kontext beispielsweise Fohlen, Les manuscrits cisterciens, die sogar
Überlieferungstraditionen entlang der zisterziensischen Filiationslinien nachweisen kann.
132 S. hierzu die detaillierten jüngeren Untersuchungen von Jeannine Fohlen: Fohlen, La tradition
manuscrite sowie Fohlen, Un exemplaire complet.
133 Die Übersicht bei Fohlen, La tradition manuscrite, ist nach den Orten der Handschriftenaufbewah-
rung, nicht aber der -provenienz geordnet. Es wäre also im Detail zu überprüfen, ob es in oder im
Umfeld von Löwen Seneca-Texte gab, die Thomas zugänglich gewesen sein könnten. Erste Thesen
zur Seneca-Rezeption bei Thomas von Cantimpre entwickelte jüngst Kluge, Wissen, S. 40-45.
134 Z.B. Thom. Cantimpr. BUA 1,25,4, ebd. 11,1,2 oder ebd. 11,12,6. S. außerdem BUA 1,4,3, wo Tho-
mas explizit auf Senecas De clementia verweist (De clementia principis ad Neronem Seneca scri-
bens dicit).
135 Z. B. Thom. Cantimpr. BUA 11,14,6, ebd. 11,15,3 oder ebd. 11,16,3.
 
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