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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Editor]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0104
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II.4. Eine Region erzählen: Personen, Orte und Räume im „Bienenbuch'

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als Empfängerinnen und Trägerinnen einer besonderen Heiligmäßigkeit,262 als vor-
bildhafte und Männern durchaus überlegene Religiöse,263 als Konvertitinnen,264
Kupplerinnen und Verführerinnen,265 als Opfer sexualisierter Gewalt,266 und schließ-
lich als Objekte dämonischer Besessenheit.267
Häufig wird das Leben der „heiligen Frauen“ als bewusste Abkehr von der Welt
skizziert, für die die jeweilige Familie oder der Ehepartner stehen. In zahlreichen Bei-
spielen beschreibt Thomas von Cantimpre das weltliche Leben mit recht drastischen
Ausschmückungen als einen von Gewalt, Misshandlung und Zwang geprägten Be-
reich, dem die Frauen nur durch eine besondere Frömmigkeit und eine damit einherge-
hende Radikalität im Glauben entfliehen können. Die Voraussetzung für eine solche
Hinwendung zu einem glücklicheren, Gott gewidmeten Leben stellen bedingungslose
Hingabe und eine Leidensbereitschaft, auch im Sinne einer körperlichen passio, dar.
Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Thomas von Cantimpre in seinem Bonum
universale de apibus nicht nur soziale Eliten, sondern auch Vertreter einfacher ge-
stellter Gesellschaftsgruppen berücksichtigte, wie beispielsweise Bauern, Arme oder
kranke Menschen.268 Sie bleiben zumeist namenlos, werden aber häufig mit Diminu-
tiven beschrieben - möglicherweise um ihre schwache Lebenssituation auch sprach-
lich zu transportieren.269
In der Gesamtschau ist das „Bienenbuch“ von einem bemerkenswert breiten sozi-
alen Blick seines Autors geprägt. Unabhängig von ihrer sozialen Stellung finden alle
262 S. z. B. Thom. Cantimpr. BUA 11,57,15 (Christina Mirabilis); ebd. 1,1,4 (Weisheit einer namenlosen
Rekluse); ebd. 11,29,38 (Jungfrau Jaqueline) sowie ebd. 11,29,39 (Yolanda von Vianden).
263 S. z. B. Thom. Cantimpr. BUA 11,10,8, wo eine Zisterzienseräbtissin im Gegensatz zu männlichen
Geistlichen die besondere Qualität der mendikantischen Lebensweise erkennt.
264 S. z. B. Thom. Cantimpr. BUA 11,29,21-22, wo die dramatische Geschichte der Freundschaft zwi-
schen der Christin Agnes mit der Jüdin Sarah berichtet wird, die mit der Konversion Sarahs endet.
S. außerdem ebd., 11,29,20 (Geschichte über die Konversion der Jüdin Rahel).
265 S. beispielsweise Thom. Cantimpr. BUA 11,30,5 oder ebd., 11,30,37-40. Typische Begriffe für diese
Frauen sind Vettel (yetula) oder Kupplerin (conciliatrix).
266 S. beispielsweise die oben (Kapitel H.4., Abschnitt „Sprache und Kommunikation) zitierte Episode
in Thom. Cantimpr. BUA 11,30,51 sowie ebd., 11,29,21 oder ebd., 11,35,6. Eine besonders verstören-
de Episode findet sich ebd., 11,51,7: Ein sündiger Vater, der seine Tochter vergewaltigt hat, verlangt
vom zuständigen Bischof eine Buße. Je mehr er um die Buße bittet, desto mehr Straferlass erhält
er; schließlich muss er nur noch ein Vaterunser beten und stirbt danach. Angesichts dieser Tat ist
vollkommen unverständlich, warum Platelle, Les exemples, S. 217, mit Blick auf die Reue des
Vaters dieser Geschichte eine besondere Schönheit bescheinigte und sie als „l’une des perles du
recueil“ würdigte.
267 Für diese reichhaltige Thematik sei auswahlweise verwiesen auf: Thom. Cantimpr. BUA 11,30,3
oder ebd. 11,57,25. Grundlegend dazu: Newman, Quest for Redemption sowie Newman, Possessed
by the Spirit
268 S. dazu Platelle, Scenes de la vie rurale.
269 S. beispielsweise Thom. Cantimpr. BUA 11,50,11 (Ad idem quoque accidit, ut ego et mecum quidam
presbiter sancte vite, cuiusdam muliercule paupercule domicilium intraremus) oder ebd. 11,53,34
(homuncio rusticanus et pauper).
 
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