III.3. Der Umgang mit Buch und Text
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Im Mittelpunkt des Formicarius steht jedoch die Vorstellung des Gemeinwesens
von fleißigen Ameisen, die Nider als allegorisches Handlungsvorbild für Menschen
verstand. Anhand von wunderbaren Geschichten sollten damit der Glaube seiner
Zeitgenossen gestärkt und jegliche Zweifel beseitigt werden. Dazu ordnete Nider je-
dem Buch eine bestimmte Eigenschaft von Ameisengemeinschaften zu, die zu dem
jeweiligen Themenschwerpunkt passen sollte.199 Wie schon im „Bienenbuch“ wird
auch im „Ameisenhaufen“ jedes Kapitel mit einer genaueren Darlegung einer tieri-
schen Disposition eingeleitet, die im weiteren Textverlauf dann näher ausgeführt
wird. Was stark an das Vorbild der Bienen erinnert, wird allerdings schon im Prolog
genau differenziert: Im Gegensatz zu den Bienen hätten, so der Theologus, die Amei-
sen keine monarchische Ordnung und gehorchten sich vielmehr gegenseitig.200 Ihr
Gemeinwesen funktioniert deshalb, weil es durch eine innere Ordnung, nicht aber
durch das Wort eines Vorstehers bestimmt wird.201 Möglicherweise klingen in dieser
Differenzierung von Bienen und Ameisen konziliare Einflüsse oder die Reformideen
Niders an, der für eine umfassende Neuordnung des klösterlichen wie auch des ge-
sellschaftlichen Lebens seiner Zeit plädierte.202
Damit wird die Bedeutung seiner „Lesart“ und Nutzung des Bonum universale de
apibus besonders deutlich: Nider orientierte sich zunächst am Aufbau und der Struk-
tur des „Bienenbuchs“, die er mit der Ameisenallegorie und der Rahmung seiner
Kompilation durch Sentenzen über Tiereigenschaften übernahm. Bewusst entschied
er sich jedoch für ein anderes Tier mit anderen Eigenschaften, um so den Umständen
und Spezifika seiner eigenen Zeit und sicherlich den zeitgenössischen Reform- und
Konzilsdebatten über alternative Gemeinschaftsformen gerecht zu werden.
Bienen und Ameisen als didaktische Vorbilder
Die Analogie und Zusammengehörigkeit des „Bienenbuchs“ und des „Ameisenhau-
fens“ wurde bereits von den Zeitgenossen erkannt. Zu ihnen gehörte der bereits er-
wähnte Martin von Leibitz (ca. 1400-1464), der von 1446 bis 1460/61 Abt des Wiener
Schottenstiftes war. Neben den Leihvermerken, die belegen, dass Martin ein Exemplar
des „Bienenbuchs“ besaß und verlieh (s. Kapitel III.3.2.), offenbart eine weitere
199 Dazu gehören: Tätigkeiten, Bewegungsformen, Größe, Entwicklung und Farbe der Ameisen.
S. hierzu Tschacher, Der Formicarius, S. 135-136 sowie 143-144. S. außerdem Chene, Des four-
mis, besonders S. 335-350 mit einer Edition des Prologos sowie einer Übersicht über Buch- und
Kapitelinhalte.
200 Nider, Formicarius 1,1. Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt inc-iii-151, fol. 4r: Quarta
civilitas earum est differens multum ab apum policiadum. Iste regnum habent monarchicum, non
autem Ule. Quinta et si monarcha careant tarnen sibi mutuo tranquilliter obtemperant. S. außer-
dem Galbreth, Nider and the Exemplum.
201 Tschacher, Der Formicarius, S. 139-146.
202 S. hierzu Weigel, Reform als Paradigma.
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Im Mittelpunkt des Formicarius steht jedoch die Vorstellung des Gemeinwesens
von fleißigen Ameisen, die Nider als allegorisches Handlungsvorbild für Menschen
verstand. Anhand von wunderbaren Geschichten sollten damit der Glaube seiner
Zeitgenossen gestärkt und jegliche Zweifel beseitigt werden. Dazu ordnete Nider je-
dem Buch eine bestimmte Eigenschaft von Ameisengemeinschaften zu, die zu dem
jeweiligen Themenschwerpunkt passen sollte.199 Wie schon im „Bienenbuch“ wird
auch im „Ameisenhaufen“ jedes Kapitel mit einer genaueren Darlegung einer tieri-
schen Disposition eingeleitet, die im weiteren Textverlauf dann näher ausgeführt
wird. Was stark an das Vorbild der Bienen erinnert, wird allerdings schon im Prolog
genau differenziert: Im Gegensatz zu den Bienen hätten, so der Theologus, die Amei-
sen keine monarchische Ordnung und gehorchten sich vielmehr gegenseitig.200 Ihr
Gemeinwesen funktioniert deshalb, weil es durch eine innere Ordnung, nicht aber
durch das Wort eines Vorstehers bestimmt wird.201 Möglicherweise klingen in dieser
Differenzierung von Bienen und Ameisen konziliare Einflüsse oder die Reformideen
Niders an, der für eine umfassende Neuordnung des klösterlichen wie auch des ge-
sellschaftlichen Lebens seiner Zeit plädierte.202
Damit wird die Bedeutung seiner „Lesart“ und Nutzung des Bonum universale de
apibus besonders deutlich: Nider orientierte sich zunächst am Aufbau und der Struk-
tur des „Bienenbuchs“, die er mit der Ameisenallegorie und der Rahmung seiner
Kompilation durch Sentenzen über Tiereigenschaften übernahm. Bewusst entschied
er sich jedoch für ein anderes Tier mit anderen Eigenschaften, um so den Umständen
und Spezifika seiner eigenen Zeit und sicherlich den zeitgenössischen Reform- und
Konzilsdebatten über alternative Gemeinschaftsformen gerecht zu werden.
Bienen und Ameisen als didaktische Vorbilder
Die Analogie und Zusammengehörigkeit des „Bienenbuchs“ und des „Ameisenhau-
fens“ wurde bereits von den Zeitgenossen erkannt. Zu ihnen gehörte der bereits er-
wähnte Martin von Leibitz (ca. 1400-1464), der von 1446 bis 1460/61 Abt des Wiener
Schottenstiftes war. Neben den Leihvermerken, die belegen, dass Martin ein Exemplar
des „Bienenbuchs“ besaß und verlieh (s. Kapitel III.3.2.), offenbart eine weitere
199 Dazu gehören: Tätigkeiten, Bewegungsformen, Größe, Entwicklung und Farbe der Ameisen.
S. hierzu Tschacher, Der Formicarius, S. 135-136 sowie 143-144. S. außerdem Chene, Des four-
mis, besonders S. 335-350 mit einer Edition des Prologos sowie einer Übersicht über Buch- und
Kapitelinhalte.
200 Nider, Formicarius 1,1. Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt inc-iii-151, fol. 4r: Quarta
civilitas earum est differens multum ab apum policiadum. Iste regnum habent monarchicum, non
autem Ule. Quinta et si monarcha careant tarnen sibi mutuo tranquilliter obtemperant. S. außer-
dem Galbreth, Nider and the Exemplum.
201 Tschacher, Der Formicarius, S. 139-146.
202 S. hierzu Weigel, Reform als Paradigma.