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gemeinsam eine Entscheidung, der Richter bestätigt das Festgesetzte und es
kommen Gehilfen herbei, die schwärzer als Ruß sind, und legen die vom
Kopf des Bischofs abgelegte Mitra, den Ring, die Kasel, die Dalmatik sowie
die übrigen Kleider des Bischofs zu Füßen des Richters.2 Als er
vollkommen nackt ist, ergreifen sie den Heulenden mit Geschrei und 5
bringen ihn vom Angesicht des Richters in die Unterwelt; er aber hat nichts
mit sich außer den von ihn begangenen Sünden. Bald darauf erheben sich
die Gehilfen des Richters und fügen mit schönem Gesang hinzu: „Solange
wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun an jedermann.“ Durch das im
Geiste Gesehene angeregt, begann der besagte Bischof von Hildesheim, als 10
er wieder bei sich war, nachzudenken, wer jener beklagenswerte Vorsteher
gewesen sei und siehe da, jemand klopfte an die Tür und wurde eingelassen;
weinend berichtete er, dass ein solcher Bischof abends in die nächstgelegene
Stadt gekommen sei und in genau dieser nächtlichen Stunde einen
plötzlichen Tod erlitten habe. Als er dies hörte, bedauerte der heilige 15
Bischof den elenden Verstorbenen und er vergoss - obgleich das zur
Unterstützung recht nutzlos war - aus Frömmigkeit dennoch einige
bitterliche Tränen.
[5] Ganz ähnlich in seiner Schlechtigkeit war, wie mir ein Bruder von einem
erhabeneren Orden und guter Lebensführung berichtet hat, in Deutschland 20
ein gewisser Erzbischof, der einen höchst unglücklichen Tod erlitt.3 Einem
gewissen sehr heiligen Mann wurde er auf solche Art und Weise in einer
Vision gezeigt: Er sah, dass die Seele jenes Erzbischofs unter erstaunlicher
Qual vom Körper entfernt und in der Hölle dem auf einem Thron4 sitzenden
Fürsten der Dämonen gezeigt wurde. Während er diesen eifrig grüßte, hob 25
er dem Ankommenden einen vor sich stehenden Becher entgegen und sagte:
„Willkommen, Erzbischof, willkommen. Siehe, du sollst aus meinem
Becher trinken, weil du mir schon lange Zeit treu und unermüdlich gedient
^Beschrieben wird die sequentielle Degradierung des Bischofs durch Ablegen seiner
Amtskleider sowie -insignien und schließlich die Verdammung in die Unterwelt. S. zu Normen
und Praktiken dieser kirchlichen Strafmaßnahme SCHIMMELPFENNIG, Degradation. Die bei der
Bischofsweihe vorgenommenen Akte (Weihe, Salbung, Segnung, Anlegen der
Pontifikalgewänder, Inthronisation) wird von Thomas von Cantimpre also passend zum
Höllenszenario gespiegelt und umgekehrt. | 'Eine vergleichbare Episode, allerdings mit
Ludwig III. (1151/52-1190), Landgraf von Thüringen, als Protagonisten, findet sich in dem
zwischen 1214/19 und 1223 entstandenen Dialogus miraculorum des Zisterziensers Caesarius
von Heisterbach (um 1180-ca. 1240). S. Caes. Dial. mirac. 12,2. | 4Exedra bezeichnet die Apsis
in einer Kirche oder den dortigen (Bischofs-)Thron. Offenbar wird hier mit diesem Begriff eine
Spiegelung der weltlichen Hierarchien im Jenseits angedeutet. S. dazu auch DlNZELBACHER,
Klassen und Hierarchien.
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gemeinsam eine Entscheidung, der Richter bestätigt das Festgesetzte und es
kommen Gehilfen herbei, die schwärzer als Ruß sind, und legen die vom
Kopf des Bischofs abgelegte Mitra, den Ring, die Kasel, die Dalmatik sowie
die übrigen Kleider des Bischofs zu Füßen des Richters.2 Als er
vollkommen nackt ist, ergreifen sie den Heulenden mit Geschrei und 5
bringen ihn vom Angesicht des Richters in die Unterwelt; er aber hat nichts
mit sich außer den von ihn begangenen Sünden. Bald darauf erheben sich
die Gehilfen des Richters und fügen mit schönem Gesang hinzu: „Solange
wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun an jedermann.“ Durch das im
Geiste Gesehene angeregt, begann der besagte Bischof von Hildesheim, als 10
er wieder bei sich war, nachzudenken, wer jener beklagenswerte Vorsteher
gewesen sei und siehe da, jemand klopfte an die Tür und wurde eingelassen;
weinend berichtete er, dass ein solcher Bischof abends in die nächstgelegene
Stadt gekommen sei und in genau dieser nächtlichen Stunde einen
plötzlichen Tod erlitten habe. Als er dies hörte, bedauerte der heilige 15
Bischof den elenden Verstorbenen und er vergoss - obgleich das zur
Unterstützung recht nutzlos war - aus Frömmigkeit dennoch einige
bitterliche Tränen.
[5] Ganz ähnlich in seiner Schlechtigkeit war, wie mir ein Bruder von einem
erhabeneren Orden und guter Lebensführung berichtet hat, in Deutschland 20
ein gewisser Erzbischof, der einen höchst unglücklichen Tod erlitt.3 Einem
gewissen sehr heiligen Mann wurde er auf solche Art und Weise in einer
Vision gezeigt: Er sah, dass die Seele jenes Erzbischofs unter erstaunlicher
Qual vom Körper entfernt und in der Hölle dem auf einem Thron4 sitzenden
Fürsten der Dämonen gezeigt wurde. Während er diesen eifrig grüßte, hob 25
er dem Ankommenden einen vor sich stehenden Becher entgegen und sagte:
„Willkommen, Erzbischof, willkommen. Siehe, du sollst aus meinem
Becher trinken, weil du mir schon lange Zeit treu und unermüdlich gedient
^Beschrieben wird die sequentielle Degradierung des Bischofs durch Ablegen seiner
Amtskleider sowie -insignien und schließlich die Verdammung in die Unterwelt. S. zu Normen
und Praktiken dieser kirchlichen Strafmaßnahme SCHIMMELPFENNIG, Degradation. Die bei der
Bischofsweihe vorgenommenen Akte (Weihe, Salbung, Segnung, Anlegen der
Pontifikalgewänder, Inthronisation) wird von Thomas von Cantimpre also passend zum
Höllenszenario gespiegelt und umgekehrt. | 'Eine vergleichbare Episode, allerdings mit
Ludwig III. (1151/52-1190), Landgraf von Thüringen, als Protagonisten, findet sich in dem
zwischen 1214/19 und 1223 entstandenen Dialogus miraculorum des Zisterziensers Caesarius
von Heisterbach (um 1180-ca. 1240). S. Caes. Dial. mirac. 12,2. | 4Exedra bezeichnet die Apsis
in einer Kirche oder den dortigen (Bischofs-)Thron. Offenbar wird hier mit diesem Begriff eine
Spiegelung der weltlichen Hierarchien im Jenseits angedeutet. S. dazu auch DlNZELBACHER,
Klassen und Hierarchien.