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Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 2): Analyse, Edition, Übersetzung und Kommentar — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.53742#0250
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BUA 11,1

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einige zum Lachen, andere aber zu Tränen. Er wurde dennoch gedrängt, den
Konvent bis zu seinem Lebensende zu leiten, wenn er auch geschwächt war,
und zeichnete sich nach seinem Tode durch viele und große Wunder aus.29
[22] Es gab unter ihm und zu seiner Zeit einen gewissen Konrad, einen
Bruder des Predigerordens, der neben anderen unermesslichen Wundem 5
auch drei Tote ins Leben zurückholte.30
[23] Ich zweifle, ob ich ebenso jenen Mönch aus dem Zisterzienserorden
sah, einen Mann voller Frömmigkeit, über den ein solches Wunder berichtet
wurde. Als das Land Brabant gänzlich von der Kälte des Schnees bedeckt
war, befand sich der oben genannte Mönch auf einer Reise und kam, 10
nachdem er seinen Diener in ein Dorf vorgeschickt hatte, über unwegsame
Pfade allein in eine Ebene. Und siehe da, er fand einen Knaben von äußerst
edler Gestalt, ungefähr drei Jahre alt, der unter großem Geheul und
Wehklagen allein im Schnee lag. Aus Mitleid mit einem solchen Kind stieg
er also vom Pferd und umarmte den Weinenden, begann mit ihm zu weinen 15
und zu fragen, was er habe. Als der Knabe aber schwieg, wiederholte er dies
und seufzte fragend: „Wo ist deine Mutter? Du hast deine Mutter doch nicht
etwa verloren?“ Auf die Fragen jenes Mannes antwortete der Knabe
schließlich heftiger weinend: „Ich Armer, ich Armer, warum sollte ich nicht
weinen, warum nicht klagen? Schau, du siehst, dass ich, der ich nichts habe, 20
allein bin und in der Kälte sitze und es gibt niemanden, der mich aufliest
und mir Unterkunft gewährt.“ Bald stand der Mönch auf, wobei er den
Knaben in seinen Armen hochhob, ihn küsste und zu ihm sagte: „Hör auf zu
weinen, mein Liebster, weil ich dich zu einer Unterkunft bringen und dafür
sorgen werde, dass du ernährt wirst.“ Als er dies sprach und mit dem 25
Knaben das Pferd besteigen wollte, sprang aber der Knabe aus den Armen
des ihn Haltenden und verschwand plötzlich, weil er Christus, der Sohn der
Jungfrau war. Der Mönch fiel also zu Boden und begann sehr bitter zu
klagen und zu weinen. Nachdem er lange so weinend am Boden gelegen
hatte, wurde er schließlich von seinem Diener, der ihn gesucht hatte, 30
gefunden, aufs Pferd gehoben und zu einer Herberge geführt. Als er gefragt
wurde, warum er weine, konnte er eine Nacht lang nichts anderes sagen als:
„Ach, guter Knabe, schönster Knabe, warum hast du mich verlassen?

19 Zum beschriebenen Demutsgestus Elgers und seinem Bestreben, dem auf einem Esel reitenden
Christus nachzueifern s. BURKHARDT, Predigerbrüder, S. 184-185 sowie SCHMIDT, Milch und
Esel. | i0Aufgrund der dürftigen Kontextinformationen nicht näher zu bestimmen. Thomas ’
Darstellung jedoch lieferte die Vorlage für den entsprechenden Eintrag bei Johannes Meyer:
MEYER, Liber de viris I, 32, S. 29.
 
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