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BUA 11,25
479
Dominikaner in Trier,4 von dem auch ich selbst diese Geschichte empfangen
habe, unter vier Augen berichtete. Zum Kloster Villers gehörte ein Hof in
Loon in der Grafschaft Hesbay, der Hex genannt wurde,5 wo die
Konversenbrüder ein Rind hatten, das ansehnlich in Form, Kraft und Fett
war; von dessen Fleisch wollte eine gewisse arme, schwangere Frau mit 5
unheilbarem Verlangen essen. Sie weinte also jeden Tag und litt Qualen wie
bei Lebensgefahr. Jener wurden sehr schöne Rindfleischstücke gegeben,
aber sie vermochten nicht, ihre Begierde zu stillen. Als also Abt Wilhelm
zum Hof kam und ein Konversenbrüder die Gefahr der Frau schilderte,
antwortete der Abt: „Es ist besser, dass ein Rind getötet wird als ein 10
Mensch. Aber tue es im Geheimen und erfülle das Verlangen der Frau.“
Also führte ein Konversenbrüder das Rind am Abend heimlich in das
Zimmer und teilte es, nachdem es getötet und gehäutet war, in kleine Stücke
und bewahrte sie auf. Das Stückchen aber, das die Frau vom Rind begehrte,
übergab er bald. Nachdem sie es gegessen hatte, erholte sich die Frau 15
vollständig.
Wunderbare Sache, erstaunlicher Anblick! Als es Morgen geworden war,
sah der Konversenbrüder, als er seinen Dienern zum Pflug folgte, das
getötete Rind, das in den Pflug gespannt war und ackerte; furchtbar erstaunt
(mehr als man glauben kann), kehrte er nach Hause zurück, betrat das 20
Zimmer, suchte das aufbewahrte Fleisch und fand überhaupt nichts von dem
Rind, weder Fleischstücke noch Haut noch wenigstens das Blut, das er
verschüttet hatte. Als geeignete Zeugen für die Wahrheit dieser Sache gab es
im Haus drei tüchtige Konversenbrüder, aber auch den Fleischer selbst,
einen frommen und guten Mann und sicherlich mehr als alle anderen die 25
Frau selbst; sie war allein am Fleisch des getöteten Rindes, nachdem sie es
gegessen hatte, gesundet, während sie es durch andere Dinge nicht gekonnt
^Offenbar Walther von Meisenburg OP, Prior des Trierer Dominikanerkonvents und Berater der
Yolanda von Vianden (ca. 1231-1283). S. für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA
11,10,17. | ^Übersetzung der Ortsnamen nach PLATELLE, Les exemples, S. 142.
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Dominikaner in Trier,4 von dem auch ich selbst diese Geschichte empfangen
habe, unter vier Augen berichtete. Zum Kloster Villers gehörte ein Hof in
Loon in der Grafschaft Hesbay, der Hex genannt wurde,5 wo die
Konversenbrüder ein Rind hatten, das ansehnlich in Form, Kraft und Fett
war; von dessen Fleisch wollte eine gewisse arme, schwangere Frau mit 5
unheilbarem Verlangen essen. Sie weinte also jeden Tag und litt Qualen wie
bei Lebensgefahr. Jener wurden sehr schöne Rindfleischstücke gegeben,
aber sie vermochten nicht, ihre Begierde zu stillen. Als also Abt Wilhelm
zum Hof kam und ein Konversenbrüder die Gefahr der Frau schilderte,
antwortete der Abt: „Es ist besser, dass ein Rind getötet wird als ein 10
Mensch. Aber tue es im Geheimen und erfülle das Verlangen der Frau.“
Also führte ein Konversenbrüder das Rind am Abend heimlich in das
Zimmer und teilte es, nachdem es getötet und gehäutet war, in kleine Stücke
und bewahrte sie auf. Das Stückchen aber, das die Frau vom Rind begehrte,
übergab er bald. Nachdem sie es gegessen hatte, erholte sich die Frau 15
vollständig.
Wunderbare Sache, erstaunlicher Anblick! Als es Morgen geworden war,
sah der Konversenbrüder, als er seinen Dienern zum Pflug folgte, das
getötete Rind, das in den Pflug gespannt war und ackerte; furchtbar erstaunt
(mehr als man glauben kann), kehrte er nach Hause zurück, betrat das 20
Zimmer, suchte das aufbewahrte Fleisch und fand überhaupt nichts von dem
Rind, weder Fleischstücke noch Haut noch wenigstens das Blut, das er
verschüttet hatte. Als geeignete Zeugen für die Wahrheit dieser Sache gab es
im Haus drei tüchtige Konversenbrüder, aber auch den Fleischer selbst,
einen frommen und guten Mann und sicherlich mehr als alle anderen die 25
Frau selbst; sie war allein am Fleisch des getöteten Rindes, nachdem sie es
gegessen hatte, gesundet, während sie es durch andere Dinge nicht gekonnt
^Offenbar Walther von Meisenburg OP, Prior des Trierer Dominikanerkonvents und Berater der
Yolanda von Vianden (ca. 1231-1283). S. für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA
11,10,17. | ^Übersetzung der Ortsnamen nach PLATELLE, Les exemples, S. 142.