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Thomas; Burkhardt, Julia [Editor]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 2): Analyse, Edition, Übersetzung und Kommentar — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.53742#0700
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BUA 11,32

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Anstrengungen wird Christus, das Haupt der Kirche, überhäuft. Sie soll sich
also rücklings, das heißt: eine demütige Sünderin soll sich mit dem Herzen
im Gebet niederwerfen, damit sie nicht ihrer uneigennützigen || und natürlichen
Tugenden beraubt wird; und so wie durch uneigennützige Tugenden, || welche sie
verloren hat, weil sie Gott kränkte, nicht geholfen werden kann, so 5
verschwendet sie den Beistand der natürlichen Tugenden, indem sie sündigt.
Und beinahe dasselbe wurde bei einem Menschen getan, der, als er „von
Jerusalem nach Jericho ging, auf Straßenräuber stieß, die ihn auch seiner
uneigennützigen Tugenden beraubten und die, nachdem seinen natürlichen
Tugenden Schläge zugefügt worden waren, weggingen und ihn halbtot 10
zurückließen.“ Nachdem also die uneigennützigen Tugenden vom Sünder
weggenommen wurden, werden sie, auch wenn die natürlichen nicht völlig
weggenommen werden, dennoch gelähmt und gelingen diesem Menschen
nicht wie früher beim Gebet.
[3] Ich habe einen Menschen gekannt, der zu seiner Zeit beinahe 15
unvergleichlich demütig war, er glühte vor Fürsorge, war wohltätig
gegenüber Bedürftigen, über die Maße verständig, fromm gegenüber
Verachteten, besonders fleißig bei der Züchtigung des Körpers, und alle
unflätigen Berührungen waren ihm fremd. So war es auch bei den
uneigennützigen Eigenschaften; bei den natürlichen aber war er so gut und 20
schicklich ausgestattet, dass man glaubte, die Güte des Allmächtigen habe
nichts an ihm unvollendet gelassen. Er wurde also für seine Ehelosigkeit
und seinen tugendhaften Lebenswandel von allen ehrenvoll und schon auf
der Erde gleichsam als Heiliger unter den Menschen angesehen, so dass ich
über ihn einen gewissen sehr angesehenen Mann sagen hörte: „Wann auch 25
immer es sich ereignet, dass ich ihn sehe, glaube ich nicht, dass ich einen
Menschen sehe, sondern einen Engel.“ Später sahen wir, dass er schrittweise
von seiner Unbeugsamkeit in Gerechtigkeit Abstand nahm und dass er sich
in eine solche Undankbarkeit Gott gegenüber stürzte, dass er es
verschmähte, die Messfeierlichkeiten zu hören und keine Spur von Tugend 30
 
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