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BUA 11,34
711
gemäß Hesekiel für den Zuwachs der Tugend zuerst „das Buch der Heiligen
Schrift verzehren“, das heißt: sich einverleiben, damit in ihrem Mund durch
die Predigt zu geeigneter Zeit gleichsam süßer Honig entstehe. Ein Dritter
kann ebenfalls nicht zeugen, und das ist der Greis. Und dies aus dem Grund,
weil die Natur bei ihm das Samenblut nicht verteilen kann. Deshalb wird im 5
Buch der Könige gesagt, dass „König David gealtert war“ und nicht
gewärmt werden konnte, solange er mit Pelzen bedeckt war. Die natürliche
Kraft weicht bei Greisen nämlich von der Härte ab, und solange der
Organismus des Körpers wie ein Herd oder ein Werkzeug des Feuers
zugrunde gerichtet wird, muss die Beschaffenheit des Eifers und der Sinne 10
abnehmen. Wenn es nämlich wahr ist, was jener große Grammatiker gesagt
hat: „Je jünger sie sind, desto einsichtvoller sind sie“, dann ist im
Umkehrschluss also auch wahr: je älter sie sind, desto träger sind sie. Aber
im vierten Buch der Könige wird gesagt, dass „Asa“, der König von Juda im
Alter „an den Füßen“ Schmerz empfunden hatte, und dies gehört zu dem 15
Zustand, der sie jedenfalls bei Greisen in Bezug auf das Wohlergehen des
Nächsten träger macht. Die Hitze der brennenden Liebe ist nämlich der
Grund, dass eine Predigt zur Ermahnung beim Predigenden passend und gut
zusammengestellt ist und den Zuhörern nutzbringend verkündet wird, was
allerdings kaum oder gar ohne göttliches Wunder bei Greisen geschieht, 20
deren Sinne vom sechzigsten Lebensjahr oder bei langer Dauer vom
siebzigsten Jahr an schwinden. Über den heiligsten Vater Augustinus2 aber
liest man dem Zeugnis von Bischof Possidius von Calama zufolge,3 dass er
- obwohl er durch sein hohes Alter schwach war - „das Wort Gottes bis zur
äußersten Krankheit ununterbrochen, lebhaft und kräftig, mit einem 25
gesunden Geist und gesunder Einsicht in der heiligen Kirche predigte; und
mit allen unversehrten Gliedern seines Körpers, mit reinem Blick und Gehör
entschlief er mit seinen Vätern“, und man muss dies eher seiner göttlichen
Tugend als der Natur zuschreiben; und in der vergangenen Zeit und gewiss
auch in der heutigen kennen wir kaum etwas Ähnliches. 30
2Hl. Augustinus (354-430), Kirchenlehrer, seit 396 Bischof von Hippo Regius. S. für weitere
Informationen Thom. Cantimpr. BUA 1,1,1. | 3Possidius von Calama (gest. nach 437), Bischof
von Calama seit etwa 397. Verfasste nach dem Tod des hl. Augustinus (s. Anm. 2) 430 die Vita
Augustini sowie ein Verzeichnis von dessen Schriften. S. allgemein HERMANOWICZ, Possidius of
Calama sowie zur Vita ebd., S. 17-63.
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gemäß Hesekiel für den Zuwachs der Tugend zuerst „das Buch der Heiligen
Schrift verzehren“, das heißt: sich einverleiben, damit in ihrem Mund durch
die Predigt zu geeigneter Zeit gleichsam süßer Honig entstehe. Ein Dritter
kann ebenfalls nicht zeugen, und das ist der Greis. Und dies aus dem Grund,
weil die Natur bei ihm das Samenblut nicht verteilen kann. Deshalb wird im 5
Buch der Könige gesagt, dass „König David gealtert war“ und nicht
gewärmt werden konnte, solange er mit Pelzen bedeckt war. Die natürliche
Kraft weicht bei Greisen nämlich von der Härte ab, und solange der
Organismus des Körpers wie ein Herd oder ein Werkzeug des Feuers
zugrunde gerichtet wird, muss die Beschaffenheit des Eifers und der Sinne 10
abnehmen. Wenn es nämlich wahr ist, was jener große Grammatiker gesagt
hat: „Je jünger sie sind, desto einsichtvoller sind sie“, dann ist im
Umkehrschluss also auch wahr: je älter sie sind, desto träger sind sie. Aber
im vierten Buch der Könige wird gesagt, dass „Asa“, der König von Juda im
Alter „an den Füßen“ Schmerz empfunden hatte, und dies gehört zu dem 15
Zustand, der sie jedenfalls bei Greisen in Bezug auf das Wohlergehen des
Nächsten träger macht. Die Hitze der brennenden Liebe ist nämlich der
Grund, dass eine Predigt zur Ermahnung beim Predigenden passend und gut
zusammengestellt ist und den Zuhörern nutzbringend verkündet wird, was
allerdings kaum oder gar ohne göttliches Wunder bei Greisen geschieht, 20
deren Sinne vom sechzigsten Lebensjahr oder bei langer Dauer vom
siebzigsten Jahr an schwinden. Über den heiligsten Vater Augustinus2 aber
liest man dem Zeugnis von Bischof Possidius von Calama zufolge,3 dass er
- obwohl er durch sein hohes Alter schwach war - „das Wort Gottes bis zur
äußersten Krankheit ununterbrochen, lebhaft und kräftig, mit einem 25
gesunden Geist und gesunder Einsicht in der heiligen Kirche predigte; und
mit allen unversehrten Gliedern seines Körpers, mit reinem Blick und Gehör
entschlief er mit seinen Vätern“, und man muss dies eher seiner göttlichen
Tugend als der Natur zuschreiben; und in der vergangenen Zeit und gewiss
auch in der heutigen kennen wir kaum etwas Ähnliches. 30
2Hl. Augustinus (354-430), Kirchenlehrer, seit 396 Bischof von Hippo Regius. S. für weitere
Informationen Thom. Cantimpr. BUA 1,1,1. | 3Possidius von Calama (gest. nach 437), Bischof
von Calama seit etwa 397. Verfasste nach dem Tod des hl. Augustinus (s. Anm. 2) 430 die Vita
Augustini sowie ein Verzeichnis von dessen Schriften. S. allgemein HERMANOWICZ, Possidius of
Calama sowie zur Vita ebd., S. 17-63.