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Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 2): Analyse, Edition, Übersetzung und Kommentar — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.53742#0732
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BUA 11,36

727

[2] Was aber im Grenzgebiet von Burgund durch die Unschuld geschehen
ist, wollen wir nun berichten, wie wir es von einem Bruder des
Minderordens erfahren haben. Nach ältester Sitte wurde es im Orden des
heiligen Benedikt eingehalten, dass in der Regel Knaben vom Wiegenalter
an mit dem Habit bekleidet wurden und so im Orden durch die 5
Unbescholtenheit des Lebens erzogen wurden.1 Wir haben gehört, dass
häufiger gegen diese Praxis gehandelt wurde, aber wir billigen es nicht in
jeder Hinsicht, dass ein Knabe, der zwar des Verstandes kundig ist, ein
Gelöbnis ablegen soll, das er nicht versteht; vielmehr sollte jeder
Erwachsene das Gelöbnis ablegen, der besonnen tadeln kann, was ihm 10
missfällt und durch eine würdige Entscheidung billigen kann, was ihm
gefällt.
Es gab einen gewissen Knaben im Grenzgebiet von Burgund, der im Kloster
des Ordens des heiligen Benedikt bei Cluny2 beinahe vom Wiegenalter an
höchst unbescholten und aufrichtig heranwuchs. Als der junge Mann aber 15
erwachsen geworden war, gebot ihm sein Abt, dass er sich zur Erholung
oder ein wenig Spaß mit ihm auf den Weg außerhalb des Klosters machen
sollte. Weil die Pferde beschlagen werden mussten, ging der Abt mit den
Seinen zur Schmiede; der junge Mann aber, der aufrichtig verwundert war,
umso mehr als er so etwas noch niemals gesehen hatte, hob das glühende 20
Eisen mit der bloßen Hand hoch, und als er jenes berührte, trug er keine
Verbrennung oder Wunde davon. Der hoch erstaunte Abt und alle, die
anwesend waren, brachten daraufhin der Unbescholtenheit des jungen
Mannes Verehrung entgegen und hießen die Sache wiederholt und vielfach
gut. Als danach der Abt und die Seinen mit anderen Dingen beschäftigt 25
waren, trat der junge Mann bald in das Innere des Wohnhauses ein, wo er
verwundert die Frau des Schmieds fand, die ein Kleinkind auf den Knien
hielt; er aber hatte noch nie etwas Ähnliches gesehen und scherzte mit dem
Kind. Sogleich angespomt sagte die Mutter zu dem jungen Mann, der
gleichsam der Schlechtigkeit unkundig war, ob er ein solches Kleinkind 30
haben wolle. Und jener sagte: „Sehr gerne.“ Daraufhin unterwies sie ihn, der
nichts über Beischlaf wusste, und versprach, dass auf diese Weise ein Knabe
xDiese Passage nimmt auf die Praxis der oblatio puerorum Bezug, nach der Kinder an Klöster
als künftige Mönche — im Wortsinne als „Opfergabe" — übergeben wurden. Zunehmend als Akt
der Entmündigung kritisiert, wurde die oblatio von Kindern im Laufe des 13. Jahrhunderts
durch die Vorschrift des mündigen Alters als Voraussetzung für die Profess faktisch verboten. S.
hierzu KOCH, Art. „oblatio". | 2P>enediktinerabtei, 910 gegründet und seit Erlass der
päpstlichen Reformlizenz 931 Zentrum der benediktinischen Reformbewegung (Cluniazenser). S.
für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA 1,6,2.
 
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