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BUA 11,40
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ihrem Vermögen erlangen. Ich habe aber wiederholt gelesen und gehört,
dass die Engel sich hier, das heißt in der Luft und auf der Erde unserer
Pilgerschaft, des klangvollen Lobpreises bedient haben.
Ich habe gesehen, dass die Stadt Soissons in Frankreich länger der
Exkommunikation unterlag und dass die Priester nicht - außer im Stillen - 5
die göttlichen Sakramente feierten.7 Am Feiertag der Auffahrt der heiligen
Maria8 aber ging Herr Johannes, der mit Beinamen Ras heißt und Prior der
Regularkanoniker von St. Johannes in den Weinbergen außerhalb der
Mauern derselben Stadt war,9 mit drei Kanonikern, die er ausgewählt hatte,
sehr frommen Männern, die nun alle tot sind, auf einen Berg nahe der Stadt, 10
an einen Ort, wo ein gewisser Eremit gesessen hatte, um das Fest der
ruhmreichen Jungfrau zu feiern. Als aber der Tag zu Neige gegangen war
und sie das Abendgebet gesungen hatten, kosteten sie Brot und Wasser mit
reinem Mund. Nachdem die Komplet gesprochen worden war, streckten sie
nach frommen und langen Gebeten ihre Glieder über dem nackten Boden 15
aus - es war nämlich ein öder Ort -, um ein wenig zu ruhen. Schon bald
erfüllter, standen sie zur Matutin auf und sangen schlicht und
hingebungsvoll. Und als der Prior vor dem Morgengebet aus Gewohnheit
die neunte Lesung beendete, ertönte plötzlich eine wunderbare Harmonie
der Engel und sie sangen den Wechselgesang „Felix namque“ mit den 20
höchsten Stimmen. Als dieser Vers gesungen worden war, übernahmen nur
vier aus jener unzählbaren Menge den Vers und das „Gloria“ einzeln,
während die Menge immer mit Wiederholungen antwortete. Nach jeder
zweiten Wiederholung aber wiederholten sie nach französischer Art den
Wechselgesang „Felix namque“, und sie endeten gemeinsam mit allen, die 25
folgten. Als aber der Wechselgesang beendet war, trat unter den Engeln
Stille ein. Während der Prior aber das „Te Deum laudamus“ begann,
beendeten sie die Matutin mit ihren Lobpreisungen. Wir können nicht
darstellen oder aus sprechen, wie viele Schluchzer, wie viele Tränen, wie
viele Seufzer jene vier heiligen Männer bei der Erinnerung an diesen 30
süßesten Wohlklang aus dem Tiefsten der Brust von sich gaben, nachdem
die Lobpreisungen gesprochen worden waren; aber ich glaube, dass bei
7Offenbar jene Ketzerprozesse, die Guibert von Nogent OSB (um 1055-um 1125) für das Jahr
1114 in Soissons beschrieb und in deren Zuge mehrere Personen verurteilt wurden. S. hierzu
Guib. Novig. De vita sua 111,17, S. 212-215. | 8Maria Himmelfahrt, gefeiert am 15. August. S.
für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA 11,29,11. | 9Augustiner-Chorherrenabtei
Saint-Jean-des-Vignes in Soissons. S. für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA 11,12,7.
Zu den Protagonisten der Geschichte s.u. Anm. 10.
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ihrem Vermögen erlangen. Ich habe aber wiederholt gelesen und gehört,
dass die Engel sich hier, das heißt in der Luft und auf der Erde unserer
Pilgerschaft, des klangvollen Lobpreises bedient haben.
Ich habe gesehen, dass die Stadt Soissons in Frankreich länger der
Exkommunikation unterlag und dass die Priester nicht - außer im Stillen - 5
die göttlichen Sakramente feierten.7 Am Feiertag der Auffahrt der heiligen
Maria8 aber ging Herr Johannes, der mit Beinamen Ras heißt und Prior der
Regularkanoniker von St. Johannes in den Weinbergen außerhalb der
Mauern derselben Stadt war,9 mit drei Kanonikern, die er ausgewählt hatte,
sehr frommen Männern, die nun alle tot sind, auf einen Berg nahe der Stadt, 10
an einen Ort, wo ein gewisser Eremit gesessen hatte, um das Fest der
ruhmreichen Jungfrau zu feiern. Als aber der Tag zu Neige gegangen war
und sie das Abendgebet gesungen hatten, kosteten sie Brot und Wasser mit
reinem Mund. Nachdem die Komplet gesprochen worden war, streckten sie
nach frommen und langen Gebeten ihre Glieder über dem nackten Boden 15
aus - es war nämlich ein öder Ort -, um ein wenig zu ruhen. Schon bald
erfüllter, standen sie zur Matutin auf und sangen schlicht und
hingebungsvoll. Und als der Prior vor dem Morgengebet aus Gewohnheit
die neunte Lesung beendete, ertönte plötzlich eine wunderbare Harmonie
der Engel und sie sangen den Wechselgesang „Felix namque“ mit den 20
höchsten Stimmen. Als dieser Vers gesungen worden war, übernahmen nur
vier aus jener unzählbaren Menge den Vers und das „Gloria“ einzeln,
während die Menge immer mit Wiederholungen antwortete. Nach jeder
zweiten Wiederholung aber wiederholten sie nach französischer Art den
Wechselgesang „Felix namque“, und sie endeten gemeinsam mit allen, die 25
folgten. Als aber der Wechselgesang beendet war, trat unter den Engeln
Stille ein. Während der Prior aber das „Te Deum laudamus“ begann,
beendeten sie die Matutin mit ihren Lobpreisungen. Wir können nicht
darstellen oder aus sprechen, wie viele Schluchzer, wie viele Tränen, wie
viele Seufzer jene vier heiligen Männer bei der Erinnerung an diesen 30
süßesten Wohlklang aus dem Tiefsten der Brust von sich gaben, nachdem
die Lobpreisungen gesprochen worden waren; aber ich glaube, dass bei
7Offenbar jene Ketzerprozesse, die Guibert von Nogent OSB (um 1055-um 1125) für das Jahr
1114 in Soissons beschrieb und in deren Zuge mehrere Personen verurteilt wurden. S. hierzu
Guib. Novig. De vita sua 111,17, S. 212-215. | 8Maria Himmelfahrt, gefeiert am 15. August. S.
für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA 11,29,11. | 9Augustiner-Chorherrenabtei
Saint-Jean-des-Vignes in Soissons. S. für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA 11,12,7.
Zu den Protagonisten der Geschichte s.u. Anm. 10.