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BUA 11,40
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[10] Daher wird berichtet, dass sich in Frankreich ungefähr zur Zeit König
Philipps etwas Erinnerungswürdiges ereignet hat.16 In einer gewissen
konventualen Kirche von Säkularkanonikern wurde ein besonderer Festtag
eines gewissen Heiligen begangen. Bei der Komplet aber, zwischen dem
„Vater Unser“ und dem „Credo“, sangen die Kleriker jenen Wechselgesang 5
„In pace in idipsum“, und sie sangen mehrstimmig; und sofort als sie die
zweite Wiederholung nach dem „Gloria“ beendeten und das Symbol des
Glaubens, das „Credo“, in Stille sagen wollten, da sagte eine himmlische
Stimme allen, die zuhörten: „Niemand wurde vernommen außer dem
Heiseren.“ Verblüfft nahmen alle wahr, dass eine gewisse Verachtung mit 10
einer unheilvollen und streitlustigen Stimme im Raum stand. Keiner
bezweifelte, dass der anwesend war, über den die Stimme herabgekommen
war.
[11] Wie schlecht es aber ist, beim Psalmensingen und bei geistlichen
Gesängen zu schlafen, will ich nun sehr einleuchtend aufzeigen. Es gab 15
einen Mönch, wie ich mich besinne gelesen zu haben, der zur Matutin sehr
oft zu schlafen pflegte. Als dieser aber in einer gewissen Nacht zur Matutin
im Chor bei den Lobgesängen einschlief, geschah es, dass er im Traum
einen sehr garstigen Dämon sah, der mit flüssigem Pech in einer Schale die
Mönche einzeln besuchte und gewissen Schlafenden einen eisernen 20
Esslöffel voll mit Pech anbot. Als aber der Dämon zu ihm kam und dem
Mund des Schlafenden den glühenden Löffel darbot, stieß er sich -
nachdem er plötzlich seinen Kopf zu dem Sitzpolster zurückgezogen hatte,
auf dem er ruhte - an und fand sich, als er angeschlagen erwachte, verletzt
und verwundet vor. Er bemerkte an dem Geschehenen folglich, wie sehr er 25
mit Nachlässigkeit gegenüber den göttlichen Gebeten dem Herrn missfiel
und wie sehr er darin den Dämonen gefiel.
i(,Aufgrund mangelnder Kontextangaben ist eine genaue Verortung nicht möglich. Da die
Mehrheit der Exempel jedoch in der Zeit von Philipp II. Augustus (1165-1223; König von
Frankreich seit 1180) spielt, ist auch an dieser Stelle anzunehmen, dass die Zeit Philipps II.
gemeint ist. S. für weitere Informationen zu ihm Thom. Cantimpr. BUA 1,1,4.
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[10] Daher wird berichtet, dass sich in Frankreich ungefähr zur Zeit König
Philipps etwas Erinnerungswürdiges ereignet hat.16 In einer gewissen
konventualen Kirche von Säkularkanonikern wurde ein besonderer Festtag
eines gewissen Heiligen begangen. Bei der Komplet aber, zwischen dem
„Vater Unser“ und dem „Credo“, sangen die Kleriker jenen Wechselgesang 5
„In pace in idipsum“, und sie sangen mehrstimmig; und sofort als sie die
zweite Wiederholung nach dem „Gloria“ beendeten und das Symbol des
Glaubens, das „Credo“, in Stille sagen wollten, da sagte eine himmlische
Stimme allen, die zuhörten: „Niemand wurde vernommen außer dem
Heiseren.“ Verblüfft nahmen alle wahr, dass eine gewisse Verachtung mit 10
einer unheilvollen und streitlustigen Stimme im Raum stand. Keiner
bezweifelte, dass der anwesend war, über den die Stimme herabgekommen
war.
[11] Wie schlecht es aber ist, beim Psalmensingen und bei geistlichen
Gesängen zu schlafen, will ich nun sehr einleuchtend aufzeigen. Es gab 15
einen Mönch, wie ich mich besinne gelesen zu haben, der zur Matutin sehr
oft zu schlafen pflegte. Als dieser aber in einer gewissen Nacht zur Matutin
im Chor bei den Lobgesängen einschlief, geschah es, dass er im Traum
einen sehr garstigen Dämon sah, der mit flüssigem Pech in einer Schale die
Mönche einzeln besuchte und gewissen Schlafenden einen eisernen 20
Esslöffel voll mit Pech anbot. Als aber der Dämon zu ihm kam und dem
Mund des Schlafenden den glühenden Löffel darbot, stieß er sich -
nachdem er plötzlich seinen Kopf zu dem Sitzpolster zurückgezogen hatte,
auf dem er ruhte - an und fand sich, als er angeschlagen erwachte, verletzt
und verwundet vor. Er bemerkte an dem Geschehenen folglich, wie sehr er 25
mit Nachlässigkeit gegenüber den göttlichen Gebeten dem Herrn missfiel
und wie sehr er darin den Dämonen gefiel.
i(,Aufgrund mangelnder Kontextangaben ist eine genaue Verortung nicht möglich. Da die
Mehrheit der Exempel jedoch in der Zeit von Philipp II. Augustus (1165-1223; König von
Frankreich seit 1180) spielt, ist auch an dieser Stelle anzunehmen, dass die Zeit Philipps II.
gemeint ist. S. für weitere Informationen zu ihm Thom. Cantimpr. BUA 1,1,4.