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Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 2): Analyse, Edition, Übersetzung und Kommentar — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.53742#0914
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BUA 11,52

909

Unkenntnis des eigenen Zustandes wie durch die Dunkelheit einer Wolke
im Innern überschattet, um nicht zu vergehen. „Der Mensch weiß nämlich
nicht, ob er der Liebe oder des Hasses würdig ist.“
[4] Unter diesem Zweifel litt jene fromme und heilige Lutgard, eine Nonne
in Aywieres,1 wie in ihrer Lebensbeschreibung berichtet wurde,2 schon 5
länger und verlangte deshalb unter täglichen Tränen, dass ihr auch in der
Gegenwart Gewissheit gegeben werde; da hörte sie eine Stimme, die sehr
deutlich an sie gerichtet war: „Sei unbesorgt, meine Liebste, weil dem Herrn
dein Leben gefällt.“ Die fromme Lutgard erhob sich also zum Stundengebet
und begann nichtsdestoweniger erneut, sich wie früher zu fürchten; als sie 10
jedoch ein zweites Mal heimgesucht worden war, es aber verweigerte, auf
diese Weise getröstet zu werden, ließ es der barmherzige Herr beim dritten
Mal nicht zu, dass sie noch länger gequält werde, „als, siehe, ein
ansehnlicher Mann, der allen unbekannt war, an einem gewissen Tag in den
Empfangsraum eintrat, wo die Nonnen saßen. Nachdem er die Übrigen kurz 15
begrüßt hatte, verlangte er, dass man auf der Stelle die fromme Lutgard
herbeihole. Als sie kam, begrüßte er sie und sagte zu ihr, während alle
zuhörten: ,Dies gebietet dir der Allmächtige: Du sollst fortan augenblicklich
unbesorgt leben, weil der Herr Gefallen an dir gefunden hat.‘ Während er
dies sagte, verschwand der junge Mann plötzlich und blieb nicht weiter, so 20
dass man nicht fragen konnte, woher er gekommen war oder wer er gewesen
sei.“
[5] Wir haben auch Julian gesehen, einen gewissen Kanoniker des Klosters
in Cantimpre,3 der, als er schon lange ein höchst unschuldiges Leben geführt
hatte, eines Nachts von einem Dämon aufgeschreckt wurde, der wie sein 25
eigener Dämon war; und Julian schrie mit voller Stimme und heulte und bat

^Lutgard von Aywieres (Tongeren, 1182-1246), Mystikerin, zunächst Mitglied des
Benediktinnerinenklosters von Saint-Trond, später Zisterzienserin in Aywieres. S. für weitere
Informationen Thom. Cantimpr. BUA 1,9,8. | 2Vita S. Lutgardis, verfasst zwischen 1246 und
1248 von Thomas von Cantimpre, der Lutgard seit 1228 persönlich gekannt hatte. S.
BARTOLOMEIROMAGNOLI, Lutgarda di Aywieres sowie zu den Verbindungen zwischen Lutgard
und Thomas SMITH, Language. | ^Bruder Julian (geb. in Brabant), Kanoniker in Cantimpre,
einer der ersten Brüder aus der Gründungszeit von Cantimpre (ca. 1177/80), über den Thomas
von Cantimpre bereits in seiner Vita des Abtes Johannes berichtete und der ihm darin als
Gewährsmann diente. S. hierzu Thom. Cantimpr. Vita loannis I, 15, 45-79. Für weitere
Informationen zu Cantimpre s. Thom. Cantimpr. BUA 11,1,19 sowie Kapitel 1.1. der Einleitung
zur Edition.
 
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