VIII
Einleitung des Herausgebers
zeigt. Dies spiegelt sich auch in ihrer Bedeutung für Jaspers’ akademischen Werdegang
wider. Durch ihren publizistischen Erfolg und die breite Auseinandersetzung mit phi-
losophiehistorischen Positionen ebnete sie dem Mediziner und Psychologen Jaspers
den Weg zur Philosophieprofessur.
Entstanden in einer Zeit, in der die Psychologie sich gerade erst in Ablösung von
der Philosophie als eigene Disziplin konstituierte und die geisteswissenschaftliche Psy-
chologie philosophischer Provenienz zwischen der experimentellen Psychologie und
einer durch die Psychologismus-Kontroverse6 stark auf erkenntnistheoretische und
wertphilosophische Positionen zurückgezogenen akademischen Philosophie zerrie-
ben zu werden drohte, präsentierte Jaspers ein Werk, mit dem er sich unbefangen zwi-
schen den Fronten bewegte, indem er die Weltanschauungen als »letzte Positionen«
der Seele zu analysieren und dadurch die ihr zugrunde liegenden und sie bewegenden
Kräfte zu durchdringen suchte.7
Die bewusste Entkopplung psychologischer Reflexionen von ihren philosophisch-
systemischen Einbettungen, die Jaspers unter dem Gesichtspunkt einer Typologie
weltanschaulicher Gestalten im Umgang mit philosophiehistorischem Material vor-
nimmt, und der Fokus auf die existentielle Qualität geistiger Deutungsschemata mar-
kieren dabei die eigentümliche Zwischenstellung des Buches zwischen Philosophie
und Psychologie, die der Psychologie der Weltanschauungen noch heute eine besondere
Eigenständigkeit verleiht. Das Buch breitet ein Panorama von Sinngebilden und para-
doxalen Strukturen menschlichen Geisteslebens vor dem Leser aus, in dem die ganze
historische Bandbreite und Tiefe philosophischer Psychologie sichtbar wird.
Trotz dieses Reichtums bringt die heutige Lektüre einige Schwierigkeiten mit sich.
Was grundsätzlich für das Gros historischer Texte gilt, trifft auf die Psychologie der Welt-
anschauungen in besonderem Maße zu: Die Schrift erschließt sich in vielfacher Hin-
sicht nicht aus sich selbst. Die Schwierigkeiten bei der Lektüre reichen dabei vom Ver-
ständnis der Fragestellung über die Quellenwahl, die Methodik, die Stoßrichtung und
die disziplinäre Zuordnung bis hin zu verunklärenden retrospektiven Aussagen des
Autors über sein eigenes Werk - Schwierigkeiten, denen in dieser Einleitung durch eine
geistes- und werkgeschichtliche Kontextuierung begegnet werden soll.
i. Zeitgeschichtlicher Kontext
Trotz der Wirren des ersten weltumspannenden Krieges und der Novemberrevolution
1918 war Jaspers’ Buch keine Reaktion auf die zeitgeschichtlichen Umstände. Jaspers
6 Vgl. hierzu: Einleitung zu diesem Band, XIX-XXII.
7 K. Jaspers: Psychologie der Weltanschauungen, 5. Die im Folgenden genannten Seitenangaben be-
ziehen sich auf diesen Band.
Einleitung des Herausgebers
zeigt. Dies spiegelt sich auch in ihrer Bedeutung für Jaspers’ akademischen Werdegang
wider. Durch ihren publizistischen Erfolg und die breite Auseinandersetzung mit phi-
losophiehistorischen Positionen ebnete sie dem Mediziner und Psychologen Jaspers
den Weg zur Philosophieprofessur.
Entstanden in einer Zeit, in der die Psychologie sich gerade erst in Ablösung von
der Philosophie als eigene Disziplin konstituierte und die geisteswissenschaftliche Psy-
chologie philosophischer Provenienz zwischen der experimentellen Psychologie und
einer durch die Psychologismus-Kontroverse6 stark auf erkenntnistheoretische und
wertphilosophische Positionen zurückgezogenen akademischen Philosophie zerrie-
ben zu werden drohte, präsentierte Jaspers ein Werk, mit dem er sich unbefangen zwi-
schen den Fronten bewegte, indem er die Weltanschauungen als »letzte Positionen«
der Seele zu analysieren und dadurch die ihr zugrunde liegenden und sie bewegenden
Kräfte zu durchdringen suchte.7
Die bewusste Entkopplung psychologischer Reflexionen von ihren philosophisch-
systemischen Einbettungen, die Jaspers unter dem Gesichtspunkt einer Typologie
weltanschaulicher Gestalten im Umgang mit philosophiehistorischem Material vor-
nimmt, und der Fokus auf die existentielle Qualität geistiger Deutungsschemata mar-
kieren dabei die eigentümliche Zwischenstellung des Buches zwischen Philosophie
und Psychologie, die der Psychologie der Weltanschauungen noch heute eine besondere
Eigenständigkeit verleiht. Das Buch breitet ein Panorama von Sinngebilden und para-
doxalen Strukturen menschlichen Geisteslebens vor dem Leser aus, in dem die ganze
historische Bandbreite und Tiefe philosophischer Psychologie sichtbar wird.
Trotz dieses Reichtums bringt die heutige Lektüre einige Schwierigkeiten mit sich.
Was grundsätzlich für das Gros historischer Texte gilt, trifft auf die Psychologie der Welt-
anschauungen in besonderem Maße zu: Die Schrift erschließt sich in vielfacher Hin-
sicht nicht aus sich selbst. Die Schwierigkeiten bei der Lektüre reichen dabei vom Ver-
ständnis der Fragestellung über die Quellenwahl, die Methodik, die Stoßrichtung und
die disziplinäre Zuordnung bis hin zu verunklärenden retrospektiven Aussagen des
Autors über sein eigenes Werk - Schwierigkeiten, denen in dieser Einleitung durch eine
geistes- und werkgeschichtliche Kontextuierung begegnet werden soll.
i. Zeitgeschichtlicher Kontext
Trotz der Wirren des ersten weltumspannenden Krieges und der Novemberrevolution
1918 war Jaspers’ Buch keine Reaktion auf die zeitgeschichtlichen Umstände. Jaspers
6 Vgl. hierzu: Einleitung zu diesem Band, XIX-XXII.
7 K. Jaspers: Psychologie der Weltanschauungen, 5. Die im Folgenden genannten Seitenangaben be-
ziehen sich auf diesen Band.