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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0011
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Einleitung des Herausgebers

Entwicklung, die für Jaspers’ erstes, der »Verstehenden Psychologie«12 gewidmetes
Buch von wesentlicher Bedeutung war.
War die »Weltanschauung« in ihrer ersten nachweisbaren Verwendung in Imma-
nuel Kants Kritik der Urteilskraft noch allgemein als Fähigkeit der Vernunft beschrie-
ben, eine Gesamtauffassung der Welt zu bilden und sich zu dieser in Beziehung zu
setzen,13 wurde sie im Deutschen Idealismus einerseits als »bewußtlose« Produktivität
der Intelligenz angesehen (Schelling),14 andererseits als Bildung einer ideellen Welt,
als »umfassendes Bewußtseyn des Natürlichen, Menschlichen und Göttlichen«,15 das
bei Hegel zu einer sich in Stufenfolge vollziehenden Form der Selbstanschauung des
Geistes geriet.16 Mit Schleiermacher und Goethe setzte schließlich eine subjektivie-
rende, lebensgeschichtliche Auslegung des Begriffs ein, nach der die Weltanschauung
als Ergebnis eines persönlichen Bildungsprozesses anzusehen ist, durch den das Sub-
jekt seine Eebenswelt kognitiv konstituiert.17 Damit war die wesentliche Grundlage für
das Einsickern des Begriffs in die neuhumanistische Bildungstheorie geschaffen und
der Boden für eine breite Diskussion der Weltanschauungsthematik auch jenseits des
philosophischen Diskurses bereitet.
Insbesondere die frühe Weltanschauungsliteratur ab ca. 1840 war geprägt von Cha-
rakterdarstellungen großer Dichter, Denker, Historiker und Staatsmänner, deren be-
sondere individuelle Gesamtauffassungen als Weltanschauungen beschrieben wur-
den.18 Allerdings zeichnete sich bereits in den iSyoer-Jahren die Inanspruchnahme des
Begriffs für eine christliche Weitsicht sowie eine dagegen opponierende szientistische

12 Der Begriff »Verstehende Psychologie«, später häufig als psychologiehistorische Kategorie mit
Dilthey assoziiert, ist offenbar eine Schöpfung von Karl Jaspers und war anfangs neben seiner Frau
Gertrud nur Max Weber bekannt (vgl. H. Gundlach: Wilhelm Windelband und die Psychologie. Das
Fach Philosophie und die Wissenschaft Psychologie im Deutschen Kaiserreich, Heidelberg 2017, 367;
G. Eckardt: Kernprobleme in der Geschichte der Psychologie, Wiesbaden 2010,93). Weber hatte in sei-
nem Aufsatz »Ueber einige Kategorien der verstehenden Soziologie«, mit hoher Wahrscheinlich-
keit mit Blick auf Jaspers, von einer »verstehend psychologischen Arbeit« gesprochen, deren »ganz
wesentliche Teile« »zurzeit gerade in der Aufdeckung ungenügend oder garnicht bemerkter und
also in diesem Sinne nicht subjektiv rational orientierter Zusammenhänge [bestehen], die aber
dennoch tatsächlich in der Richtung eines weitgehend objektiv >rational< verständlichen Zusam-
menhangs verlaufen« (EA in: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur, Bd. IV, H. 3
[1913], 259; NA in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hg. vonj. Winckelmann, Tübin-
gen 61985, 427-474, 434).
13 I. Kant: Kritik der Urteilskraft, AA V, 255; vgl. zur Begriffsgeschichte: H. G. Meier: Weltanschauung.
Studien zu einer Geschichte und Theorie des Begriffs, Münster 1970; H. Thomä: »Weltanschauung«,
in: HWPh, Bd. 12, 453-460.
14 Vgl. F. W. J. Schelling: Einleitung zu seinem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, AA 1/8,29.
15 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik. Erster Band, SWJ 12, in.
16 Vgl. ebd., iio-in.
17 H. Thomä: »Weltanschauung«, 453-454.
18 Beispiele hierfür sind Abhandlungen über die jeweiligen Weltanschauungen von Pindar, Goethe,
Schiller, Sophokles, Herodot, Thukydides und Seneca.
 
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