Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0013
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
XII

Einleitung des Herausgebers

Einfluss Goethes und Nietzsches entwickelte Rudolf Steiner 1894 die erkenntnistheo-
retischen Grundlagen26 für sein 1910 erschienenes anthroposophisches Hauptwerk Dze
Geheimwissenschaft im Umriss.27 Insbesondere nach Ende des Ersten Weltkriegs erwuchs
aus der Weltanschauungsfrage zudem eine reichhaltige Ratgeberliteratur,28 die den ori-
entierungslosen Einzelnen zu einer soliden persönlichen Weltanschauung verhelfen
sollte - eine Entwicklung, die selbst vor der körperlichen Gesundheit nicht Halt
machte29 und Jaspers dazu bewogen haben dürfte, sich bereits im Vorwort gegen eine
mögliche ratgeberische Lesart seines Buches zu verwehren.
Dass die Auseinandersetzung mit der Weltanschauungsfrage nicht nur in eine Relati-
vierung etablierter Deutungsschemata münden kann, sondern zugleich die Tendenz
hervortreibt, gerade angesichts einer Pluralität von Weltanschauungen die eigene zu
einem festen »Gehäuse«30 erstarren zu lassen und gegen das vermeintlich bedrohliche
Fremde zu verteidigen, zeigt eindrücklich die bereits früh einsetzende Rede vom
»Kampf um Weltanschauungen«. Dieser verwandelte sich sukzessive von einem kul-
turimmanenten Streit um die Deutungshoheit christlicher und szientistischer Positi-
onen in eine nationale Selbstbehauptungsdebatte.
Schon um die Jahrhundertwende erschienen zunehmend Publikationen, in denen
der Weltanschauungsbegriff als Marker »germanischer« Identität und kultureller Dis-
tinktion firmierte. Das Wort, ohnehin eine Schöpfung deutscher Geistesgeschichte,
wurde zunehmend nationalistisch verengt. Bald war von der »deutschen Weltanschau-
ung« die Rede,31 der in Abgrenzung von anderen Geistestraditionen heroische Züge
angedichtet wurden.32 Diese Tendenz deutschtümelnder Publikationen, in denen von
»reinem Deutschtum«33 und »arischer Weltanschauung«34 die Rede war, verstärkte sich

26 R. Steiner: Die Philosophie der Freiheit. Grundzüge einer modernen Weltanschauung, Berlin 1894.
27 Ders.: Die Geheimwissenschaft im Umriss, Leipzig 1910.
28 Vgl. exemplarisch C. Thinius: Weltanschauung und Selbstbildung. Propaganda Heft, Hamburg 1919;
H. Richert: Weltanschauung. Ein Führer für Suchende, Leipzig 1922; A. Mentor: Wie erlange ich Bil-
dung und Weltanschauung?, Leipzig 1926; Die Weltanschauung der Zukunft: ein Bücherverzeichnis für
suchende Menschen, Pforzheim i. Baden 1929 (o.V.).
29 Vgl. etwa das Publikationsorgan des »Bundes für Idealistische Weltanschauung und des Diät-
reformbundes«, Montsalvat, das 1922 als »Monatsschrift für geistig-seelisch-leibliche Erneuerung«
antrat.
30 Vgl. zum Begriff des Gehäuses bei Jaspers: H. Stelzer: »Karl Jaspers und der Begriff des >Gehäuses<«,
in: H. R. Yousefi u.a. (Hg.): Karl Jaspers. Grundbegriffe seines Denkens, Reinbek 2011,169-179; vgl.
auch: Stellenkommentar Nr. 30.
31 Vgl. C. W. Kirsch: Deutsche Weltanschauung, Wiesbaden 1865.
32 Vgl. exemplarisch: G. List: Der Unbesiegbare: ein Grundzuggermanischer Weltanschauung, Wien 1898.
33 Vgl. F. Lange: Reines Deutschtum. Grundzüge einer nationalen Weltanschauung, Berlin 1904.
34 Vgl. H. S. Chamberlain: Arische Weltanschauung, München 1905; vgl. ferner: A. Bartels: Rasse:
16 Aufsätze zur nationalen Weltanschauung, Berlin 1909; H. Bertsch: Weltanschauung, Volkssage und
Volksbrauch, in ihrem Zusammenhang untersucht, Dortmund 1910; O. Braun: Deutsches Leben und
deutsche Weltanschauung, Berlin 1912.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften