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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0033
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XXXII

Einleitung des Herausgebers

sucht Jaspers eine Typisierung jenseits kulturellerund gesellschaftlicher Konstruktio-
nen, eine grundsätzliche psychologische Typologie menschlicher Deutungsschemata.
Neben der Begriffsstrategie der Idealtypen und der Ausrichtung auf die »Kenntnis
der Bedeutung des Gewollten selbst« lehnte sich Jaspers vor allem mit seinen an die
Selbstreflexion appellierenden und zugleich alle normativen Erwartungen abwehren-
den Bemerkungen im Vorwort der Psychologie der Weltanschauungen an die einzige von
Weber zugestandene Direktive sozialwissenschaftlicher Forschung an. Die »gewollten
Zwecke« der Akteure und die ihnen zugrunde liegenden Ideale sollten nach Weber
durch die wissenschaftliche Befassung mit den Werturteilen nicht nur nacherlebend
verstanden werden, sondern die Wissenschaft wolle, so Weber, auch »kritisch >beur-
teilem lehren«. Dies könne aber nur eine »formal-logische Beurteilung des in den ge-
schichtlich gegebenen Werturteilen und Ideen vorliegenden Materials, eine Prüfung
der Ideale an dem Postulat der inneren Widerspruchslosigkeit des Gewollten sein. Sie
kann« - und dies spiegelt sich deutlich in Jaspers’ Ansinnen im Vorwort zur Psycholo-
gie der Weltanschauungen wider -, »dem Wollenden verhelfen zur Selbstbesinnung auf
diejenigen letzten Axiome, welche dem Inhalt seines Wollens zugrunde liegen, auf die
letzten Wertmaßstäbe, von denen er unbewußt ausgeht oder - um konsequent zu
sein - ausgehen müßte.«148 Diese Direktive an der äußersten Grenze dessen, was eine
Kulturbedeutung erschließende Wissenschaft leisten kann, heißt: »Eine empirische
Wissenschaft vermag niemanden zu lehren, was er soll, sondern nur was er kann und
- unter Umständen - was er will.«149 Auffällig ist, dass Jaspers diesem Wissenschafts-
verständnis mit seiner Weltanschauungspsychologie, die er ausdrücklich als »wissen-
schaftlichen Versuch«150 deklariert, die Treue hält. Mit seiner Äußerung im Vorwort:
»Statt einer Mitteilung dessen, worauf es im Leben ankomme, sollen nur Klärungen
und Möglichkeiten als Mittel zur Selbstbesinnung gegeben werden«151 verbleibt Jaspers
nach Weber’schem Maßstab bewusst im Bereich der Wissenschaft und zeigt den Ver-
such, die selbstreflexive Direktive der Wissenschaft auszureizen, ohne sich zu norma-
tiven Aussagen hinreißen zu lassen.
Während Webers Erschließung der Kulturbedeutung vor allem auf die Religions-
soziologie und Wirtschaftsgeschichte bezogen war, bot Wilhelm Dilthey 1911 in sei-
ner Studie »Die Typen der Weltanschauung und ihre Ausbildung in den metaphysi-
schen Systemen«152 erstmals eine konkrete, auf philosophische Systeme fokussierte
Weltanschauungstypologie, die zudem den Lebensprozess ins Zentrum der Aufmerk-
samkeit rückte.

148 Ders.: »Die >Objektivität< sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis«, 151.
149 Ebd.
150 Vgl. K. Jaspers: Psychologie der Weltanschauungen, 60.
151 Ebd., 5.
152 In: W. Dilthey: Gesammelte Schriften, Bd. VIII, hg. von B. Groethuysen, Stuttgart, Göttingen 6i99i,
75-139-
 
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