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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0059
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LVIII

Einleitung des Herausgebers

sehe Betrachtung aber bleibt Rickert zufolge mit ihrer Fixierung auf die psychologi-
sche Realität mit einer universalen Betrachtung, die seinem Verständnis nach eine phi-
losophische sein müsste, unverträglich.2" Denn mit der Ausweitung seiner Betrachtung
auf »rational geformte Lehren«, die als »unwirkliche theoretische Wert- oder Sinnge-
bilde« aufzufassen seien, überschreite Jaspers den Gegenstandsbereich der Realität.
Daraus schließt Rickert: »Wenn [...] die Psychologie nur das sieht, was« - wie Jaspers
sagt - »>seelisch wirklich oder möglich ist<, so gibt es streng genommen gar keine Psy-
chologie der Weltanschauungen selber, sondern nur eine Psychologie der empirischen
Subjekte, welche die »objektivem Weltanschauungen haben.«* * 299 300 Jaspers habe nirgendwo
auch nur den Versuch unternommen, sich auf das seelisch Wirkliche zu beschränken.301
Sein Buch stelle insofern keine Psychologie dar, »als darin bestimmte außertheoreti-
sche Wertungen« - Rickert spricht auch von »prophetischen Elementen« - zum Aus-
druck kommen.302
Zudem wirft Rickert Jaspers ein »antitheoretisches Weltanschauungspathos« vor,
das er von Nietzsche und Kierkegaard übernommen habe. Danach habe sich der
theoretische Mensch dem atheoretischen unterzuordnen. Als Forscher aber dürfe sich
Jaspers das antitheoretische Pathos nicht zu eigen machen, weil er damit den Sinn sei-
ner eigenen theoretischen Untersuchung untergrabe.303 Jaspers’ kritischen Umgang
mit jeder Systematik führt Rickert genau auf dieses Pathos zurück, dem er »Weltan-
schauungsmotive« unterstellt. Die Absicht, kein System zur Herrschaft kommen zu
lassen, sei in einer Untersuchung, die universale Betrachtung für sich in Anspruch
nimmt, nicht durchführbar.304 Wer eine »Vergewaltigung der Lebensinhalte durch ein
System« fürchte, tue das »vom Standpunkt einer »prophetischem Weltanschauung«,
für den gebe es »eine vom erkennenden Subjekt unabhängige, nach anderen als theo-
retischen Gesichtspunkten geordnete >Welt<, die er sich nicht durch die Wissenschaft
zerstören lassen will«.305 Der nur betrachtende Forscher muss Rickert zufolge aber an
die Geltung eines Systems glauben und zugleich an der Form des Systems als Festes im
Gegensatz zur Kontingenz und Bewegung der Lebensinhalte festhalten. Schon deshalb
könne Jaspers bei universaler Betrachtung nicht in der Weise für das Bewegliche Partei er-
greifen, »daß er alles Starre um seiner Starrheit willen bekämpft«.306 Die moderne Lebens-

gendwo und ist auch nicht meine Idee, nur die blosse Logik als Philosophie ist als Alleinherrsche-
rin zu stürzen« (ebd., n, KJB Oldenburg: KU 0628).
299 H. Rickert: »Psychologie der Weltanschauungen und Philosophie der Werte«, 13.
300 Ebd., 13-14.
301 Ebd., 14.
302 Ebd., 15.
303 Ebd., 20.
304 Ebd., 22.
305 Ebd., 23.
306 Ebd., 25-26. Jaspers vermerkt dazu in einem seiner Handexemplare: »ich bin auch hier falsch ver-
standen« (ebd., KJB Oldenburg: KJ 4152).
 
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