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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0061
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LX

Einleitung des Herausgebers

der Werte bedürfe, einer Theorie, an deren Ausarbeitung Rickert, wie es die Ironie des
Schicksals wollte, selbst scheiterte.
17. Distanzierung
Jaspers war sich bewusst, mit der Psychologie der Weltanschauungen auf Konfrontations-
kurs mit Rickerts Wertphilosophie gegangen zu sein. Die Kritik im Logos wollte vernich-
tend sein, wie er kurz nach Erhalt diagnostizierte,314 und Rickert hatte gründlich da-
ran gearbeitet, dies einzulösen. Aber Jaspers ließ sich von Rickerts scharfer, teilweise
höhnischer Kritik offenbar kaum irritieren. Zwar mag das spätere Eingeständnis, mit
der Gegenüberstellung von »prophetischer Philosophie« und »universaler Betrach-
tung« einen unhaltbaren Gegensatz konstruiert zu haben, ebenso auf Rickerts Kritik
zurückzuführen sein wie die Streichung eines kategorisierenden Absatzes über Werte
in der zweiten Auflage 1922. Im Ganzen aber hatte sich Jaspers mit seiner Verachtung
der in seinen Augen depravierten Professorenphilosophie315 zumindest äußerlich weit-
gehend gegen grundsätzlichere Einwände aus dem philosophischen Establishment
immunisiert.
Das Vorwort zur vierten Auflage aus dem Jahre 1954 birgt eine interessante Retrospek-
tive. Wahrnehmbar ist eine wohlmeinende Distanznahme von seinem Frühwerk, in-
dem Jaspers von einem »Buch meiner Jugend« als »Ergebnis der Selbstbesinnung« der
vom Ersten Weltkrieg und einer »Erschütterung unserer Überlieferung« geprägten Zeit
spricht. Dabei kritisiert er im Rückblick »ungelenke Schemata der Ordnung«, »entglei-
tende Wiederholungen«, »Häufungen« und teilweise gar »Leerheiten« der Sprache.
Dennoch habe er sich gegen eine »Säuberung« entschieden, weil er ein Gelingen für
unwahrscheinlich hielt.316 Interessanter noch ist seine Charakterisierung der eigenen
Forschungseinstellung. Zur Zeit der Veröffentlichung habe er »noch in der Haltung
psychopathologischen Denkens« gelebt, sein Interesse sei »bei den letzten Dingen«
gewesen. Dabei habe er »bedenkenlos« ihm zugeflossene Begriffe und Redewendun-
gen benutzt. Gestützt auf den Satz des Aristoteles, »die Seele ist gleichsam alles«, habe
er sich unter dem Namen Psychologie mit allem beschäftigt, was man wissen kann.317
Trotz erhaltener Sympathie ist eine gewisse Entfremdung von seinem Werk offen-
sichtlich. So erscheint Jaspers im Rückblick seine Gegenüberstellung von Psychologie
und Philosophie unhaltbar, insofern er dort eigentliche Philosophie mit »propheti-
scher«, weltanschaulich orientierter Philosophie gleichsetzte. Allerdings ergaben sich

314 K. Jaspers an die Eltern, 21. Juni 1920.
315 Vgl. K. Jaspers an M. Heidegger, 2. Juli 1922, in: M. Heidegger, K. Jaspers: Briefwechsel, 31.
316 K. Jaspers: Psychologie der Weltanschauungen, 7.
317 Ebd., 7-8.
 
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