Einleitung des Herausgebers
LXXI
den werden: »In die Reflexion hineintreiben, aufmerksam machen, kann man nur so,
daß man den Weg selbst eine Strecke vorangeht.«359
Drittens wird in der Philosophie auch das Verhältnis des Einzelnen zum Nicht-Ich,
zur Welt, nun nicht mehr aus der deskriptiven Perspektive einer universalen Betrach-
tung belichtet, sondern unter prinzipielleren Gesichtspunkten, nämlich in Auseinan-
dersetzung mit dem Seienden das Wissbare zu umgrenzen und an der Grenze des Wis-
sens das Denken zu Existenz und Transzendenz hin zu öffnen.
Jenseits der genannten Entwicklungslinien, die, wenn auch nicht mit letzter Sicher-
heit unmittelbar auf den Einfluss Heideggers zurückführbar, sich mindestens auffällig
mit seinen Forderungen decken, hat die Psychologie der Weltanschauungen noch in wei-
teren Punkten auf Jaspers’ existenzphilosophisches Hauptwerk ausgestrahlt. So schöpft
die spätere Konzentration auf eine systematische Entfaltung der Existenzerhellung
und existentielle Akzentuierung des menschlichen Transzendenzbezugs im dritten
Band der Philosophie aus den Quellen einer lebensphilosophisch geprägten Verstehen-
den Psychologie, einer auf das Problem der Idee fokussierten Epistemologie sowie dem
von Kierkegaard aufgenommenen Strang der Auseinandersetzung mit der Grundver-
fasstheit menschlichen Seins, der Selbstbezüglichkeit und der Orientierung an einer
aus gehäusehaften Gebilden herausgelösten Transzendenz. Dabei wird der Typus des
»enthusiastischen Menschen« aus der Psychologie der Weltanschauungen zum Träger
existentieller Normativität, wie sie sich in Jaspers’ Konzept des »selbstseienden Men-
schen« zeigt. Die ebenfalls von Kierkegaard, aber auch von Nietzsche aufgegriffene und
weitergeführte Massenkritik im Sinne einer Bedrohung des Selbst- und damit des »ei-
gentlichen« Menschseins erweist sich dabei mit Blick auf die Deutung der gesellschaft-
lichen Situiertheit des Individuums als notwendige Begleiterscheinung und findet sich
in der parallel zur Philosophie entstandenen Geistigen Situation der Zeit.360
Auf begrifflicher Ebene sind es vor allem die Existenz und die Grenzsituationen, die -
in der Psychologie der Weltanschauungen noch als Momente des Lebensprozesses ge-
fasst - das spätere Konzept der Existenzphilosophie maßgeblich geprägt haben.
In seinem Frühwerk wird der von Kierkegaard übernommene Begriff der Existenz
noch recht vage als »Leben der gegenwärtigen Individualität«,361 als Faktizität des In-
dividuums gefasst. Im Sinne eines zu verwirklichenden Seinsmodus taucht die Exis-
tenz erst in den ausführlichen Referaten Kierkegaards auf362 und wird dann im dritten
Kapitel gemeinsam mit dem Gedanken, dass sich Existenz in der antinomischen Situ-
359 M. Heidegger: »Anmerkungen«, 42.
360 Vgl. hierzu: K. Jaspers: Philosophie I, XXII.
361 Ders.: Psychologie der Weltanschauungen, 33.
362 Vgl. ebd., 112-113, bes. 382.
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den werden: »In die Reflexion hineintreiben, aufmerksam machen, kann man nur so,
daß man den Weg selbst eine Strecke vorangeht.«359
Drittens wird in der Philosophie auch das Verhältnis des Einzelnen zum Nicht-Ich,
zur Welt, nun nicht mehr aus der deskriptiven Perspektive einer universalen Betrach-
tung belichtet, sondern unter prinzipielleren Gesichtspunkten, nämlich in Auseinan-
dersetzung mit dem Seienden das Wissbare zu umgrenzen und an der Grenze des Wis-
sens das Denken zu Existenz und Transzendenz hin zu öffnen.
Jenseits der genannten Entwicklungslinien, die, wenn auch nicht mit letzter Sicher-
heit unmittelbar auf den Einfluss Heideggers zurückführbar, sich mindestens auffällig
mit seinen Forderungen decken, hat die Psychologie der Weltanschauungen noch in wei-
teren Punkten auf Jaspers’ existenzphilosophisches Hauptwerk ausgestrahlt. So schöpft
die spätere Konzentration auf eine systematische Entfaltung der Existenzerhellung
und existentielle Akzentuierung des menschlichen Transzendenzbezugs im dritten
Band der Philosophie aus den Quellen einer lebensphilosophisch geprägten Verstehen-
den Psychologie, einer auf das Problem der Idee fokussierten Epistemologie sowie dem
von Kierkegaard aufgenommenen Strang der Auseinandersetzung mit der Grundver-
fasstheit menschlichen Seins, der Selbstbezüglichkeit und der Orientierung an einer
aus gehäusehaften Gebilden herausgelösten Transzendenz. Dabei wird der Typus des
»enthusiastischen Menschen« aus der Psychologie der Weltanschauungen zum Träger
existentieller Normativität, wie sie sich in Jaspers’ Konzept des »selbstseienden Men-
schen« zeigt. Die ebenfalls von Kierkegaard, aber auch von Nietzsche aufgegriffene und
weitergeführte Massenkritik im Sinne einer Bedrohung des Selbst- und damit des »ei-
gentlichen« Menschseins erweist sich dabei mit Blick auf die Deutung der gesellschaft-
lichen Situiertheit des Individuums als notwendige Begleiterscheinung und findet sich
in der parallel zur Philosophie entstandenen Geistigen Situation der Zeit.360
Auf begrifflicher Ebene sind es vor allem die Existenz und die Grenzsituationen, die -
in der Psychologie der Weltanschauungen noch als Momente des Lebensprozesses ge-
fasst - das spätere Konzept der Existenzphilosophie maßgeblich geprägt haben.
In seinem Frühwerk wird der von Kierkegaard übernommene Begriff der Existenz
noch recht vage als »Leben der gegenwärtigen Individualität«,361 als Faktizität des In-
dividuums gefasst. Im Sinne eines zu verwirklichenden Seinsmodus taucht die Exis-
tenz erst in den ausführlichen Referaten Kierkegaards auf362 und wird dann im dritten
Kapitel gemeinsam mit dem Gedanken, dass sich Existenz in der antinomischen Situ-
359 M. Heidegger: »Anmerkungen«, 42.
360 Vgl. hierzu: K. Jaspers: Philosophie I, XXII.
361 Ders.: Psychologie der Weltanschauungen, 33.
362 Vgl. ebd., 112-113, bes. 382.