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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0100
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Psychologie der Weltanschauungen

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| Vorwort zur vierten Auflage.2 vm

Dies Buch meiner Jugend aus der Zeit, als ich von der Psychiatrie her zum Philosophie-
ren kam, aus der Zeit des ersten Weltkriegs und der Erschütterung unserer Überliefe-
rung, ist das Ergebnis der Selbstbesinnung jener Tage. Es erscheint jetzt, nachdem es
fast zweiJahrzehnte vergriffen war, unverändert in neuer Auflage.
Philosophie entspringt einer Grundverfassung. Diese bleibt beim einzelnen Men-
schen die gleiche durch ein Leben. Die Wahrheit des ersten Versuchs wird durch spä-
tere Klarheit nicht verdrängt oder ersetzt. Substantiell ist der Anfang schon das Ganze.
Diese meine erste philosophische Äußerung hat, wie mir scheint, den Vorzug der
Unmittelbarkeit in vielen Teilen. Diese aber werden eingeschlossen in ungelenke Sche-
mata der Ordnung. Die Sprache des Buches ist, wo sie unabsichtlich gelingt, frisch,
und wie der Widerhall zeigte, ansprechend. Weil sie aber als solche überhaupt nicht
Gegenstand meiner Aufmerksamkeit war, gelangte sie nicht zur Durchformung, über-
haupt zu keiner Form. Vielmehr geriet sie manchmal in entgleitende Wiederholun-
gen, in Häufungen, gelegentlich auch in Leerheiten. Das Buch wurde niedergeschrie-
ben und dann zum Druck gebracht, nicht umgeschrieben, nur wenig korrigiert. Jetzt
habe ich den Plan einer Säuberung erwogen. Durch Streichungen, durch Kürzungen
von Sätzen, durch Aus jäten gelegentlich überwuchernden Unkrauts (am Maßstab mei-
nes gegenwärtigen Urteils) schien eine Verbesserung möglich. Wenn kein neuer Satz
hinzukäme, wäre das Buch nicht verändert. Ich habe es unterlassen. Es wäre wahr-
scheinlich doch nicht gelungen, ohne einen Stil hineinzubringen, der die ursprüng-
liche Stillosigkeit verschleierte.
Es ist jetzt leicht für mich, an meinem früheren Buch Kritik zu üben. Es hat, gemes-
sen an philosophischer Fachlichkeit, etwas Unbekümmertes. Ich lebte noch in der Hal-
tung psychopathologischen Denkens.3 Wohl hatte ich aus persönlicher Lust seit frü-
her Jugend philosophische Bücher gelesen, aber noch nicht Philosophie studiert.4 Was
ich dachte, erwuchs aus der Anschauung von Menschen und aus der Leidenschaft der
Erfahrung in der eigenen Lebensführung. Mein Interesse war bei den letzten Dingen.
Ich erblickte, vergegenwärtigte, sprach aus meiner Betroffenheit, benutzte ohne | Be- IX
denken und ohne Wissen aus der Lektüre mir zugeflossene Begriffe und Redewendun-
gen, machte ebenso unbedenklich neue, ohne sie planmäßig zu durchdenken.
Zur Charakteristik des Buches darf ich seine Entstehung erzählen. Daß das Buch
»Psychologie« der Weltanschauungen heißt, ist äußerlich durch meine damalige aka-
demische Position bedingt. Ich war habilitiert für Psychologie, nicht für Philosophie.5
Ich begann, gestützt auf den Satz des Aristoteles »die Seele ist gleichsam alles«,6 mit
 
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