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Psychologie der Weltanschauungen
tionalökonom, ein Altphilologe, ein Historiker, ein Mathematiker mehr als jeder an-
dere den Namen eines Philosophen verdiente').24
Die universale Betrachtung25 hat sich (außer daß sie überall in allen wissenschaft-
lichen Sphären faktisch geübt wird, sofern die Erkenntnis als solche lebendig ist) in
besonders benannten Wissenschaften ausgebildet und mehr oder weniger deutlich
entwickelt. Diese Wissenschaften heißen im besonderen Sinne heute die philosophi-
schen, werden wohl geradezu Philosophie genannt. Es sind mehr oder weniger deut-
lich bisher: Logik, Soziologie und Psychologie; Logik, die universale Betrachtung aller
Wissenschaften und aller Gegenstände in bezug auf ihren Geltungscharakter, Sozio-
logie und Psychologie die universale Betrachtung des Menschen und seiner Gebilde.
Aber die Philosophie war von jeher mehr als nur universale Betrachtung, sie gab
Impulse, stellte Werttafeln auf, gab dem Menschenleben Sinn und Ziel, gab ihm die
Welt, in der er sich geborgen fühlte, gab ihm mit einem Wort: Weltanschauung. Die
universale Betrachtung ist noch keine Weltanschauung, dazu müssen die Impulse
kommen, die den Menschen in seiner Totalität treffen und von seiner Totalität ausge-
hen. Philosophen waren nicht nur ruhige, unverantwortliche Betrachter, sondern Be-
weger und Gestalter der Welt. Diese Philosophie nennen wir prophetische Philosophie.
Sie steht der universalen Betrachtung dadurch als wesensverschieden gegenüber, daß
sie Weltanschauunggibt, daß sie Sinn und Bedeutung zeigt, daß sie Werttafeln als Nor-
men, als geltend aufstellt. Nur dieser Philosophie gebührte der Name Philosophie,
wenn der Name den edlen, mächtigen Klang behalten soll. Aber der Name ist heute
für die universale Betrachtung üblich geworden, heute, wo es eine prophetische Phi-
losophie, außer in romantischen Wiederherstellungsversuchen schwächlicher Art,
nicht gibt. So heißt heute Philosophie, was deutlicher und klarer Logik, Geschichte
der Philosophie, Soziologie und Psychologie heißen würde. Betrachtung der Weltan-
schauungen ist also schon als Betrachtung keine echte Philosophie, sondern entwe-
der Logik oder Soziologie oder Psychologie.
Wer Impulse verlangt, wer hören will, was recht ist, worauf es ankommt, wozu
wir leben, wie wir leben sollen, was wir tun sollen, wer um den Sinn der Welt wissen
3 möchte, wendet sich vergeblich an | die universale Betrachtung, auch wenn sie un-
ter dem Namen Philosophie geht. Die universale Betrachtung spricht allerdings von
den Impulsen, davon, wie Menschen ihren Sinn finden, was sie für recht halten, wel-
che Forderungen sie als unbedingt verbindlich erfahren. Aber sie nimmt nicht Stel-
lung, sie will nicht, wie die prophetische Philosophie irgend etwas propagieren, sie
gibt dem, der Lebenssinn will, Steine statt Brot, sie verweist den, der sich anschlie-
ßen, unterordnen, Schüler sein möchte, auf sich selbst zurück. Er kann nur lernen,
was ihm bestenfalls Mittel ist. Worauf es ankommt, muß er in originaler Erfahrung
selbst finden. Solche Betrachtung nenne ich Psychologie im Gegensatz zur prophe-
Vgl. meine Trauerrede über Max Weber, Tübingen, J. C. B. Mohr, 1921.
Psychologie der Weltanschauungen
tionalökonom, ein Altphilologe, ein Historiker, ein Mathematiker mehr als jeder an-
dere den Namen eines Philosophen verdiente').24
Die universale Betrachtung25 hat sich (außer daß sie überall in allen wissenschaft-
lichen Sphären faktisch geübt wird, sofern die Erkenntnis als solche lebendig ist) in
besonders benannten Wissenschaften ausgebildet und mehr oder weniger deutlich
entwickelt. Diese Wissenschaften heißen im besonderen Sinne heute die philosophi-
schen, werden wohl geradezu Philosophie genannt. Es sind mehr oder weniger deut-
lich bisher: Logik, Soziologie und Psychologie; Logik, die universale Betrachtung aller
Wissenschaften und aller Gegenstände in bezug auf ihren Geltungscharakter, Sozio-
logie und Psychologie die universale Betrachtung des Menschen und seiner Gebilde.
Aber die Philosophie war von jeher mehr als nur universale Betrachtung, sie gab
Impulse, stellte Werttafeln auf, gab dem Menschenleben Sinn und Ziel, gab ihm die
Welt, in der er sich geborgen fühlte, gab ihm mit einem Wort: Weltanschauung. Die
universale Betrachtung ist noch keine Weltanschauung, dazu müssen die Impulse
kommen, die den Menschen in seiner Totalität treffen und von seiner Totalität ausge-
hen. Philosophen waren nicht nur ruhige, unverantwortliche Betrachter, sondern Be-
weger und Gestalter der Welt. Diese Philosophie nennen wir prophetische Philosophie.
Sie steht der universalen Betrachtung dadurch als wesensverschieden gegenüber, daß
sie Weltanschauunggibt, daß sie Sinn und Bedeutung zeigt, daß sie Werttafeln als Nor-
men, als geltend aufstellt. Nur dieser Philosophie gebührte der Name Philosophie,
wenn der Name den edlen, mächtigen Klang behalten soll. Aber der Name ist heute
für die universale Betrachtung üblich geworden, heute, wo es eine prophetische Phi-
losophie, außer in romantischen Wiederherstellungsversuchen schwächlicher Art,
nicht gibt. So heißt heute Philosophie, was deutlicher und klarer Logik, Geschichte
der Philosophie, Soziologie und Psychologie heißen würde. Betrachtung der Weltan-
schauungen ist also schon als Betrachtung keine echte Philosophie, sondern entwe-
der Logik oder Soziologie oder Psychologie.
Wer Impulse verlangt, wer hören will, was recht ist, worauf es ankommt, wozu
wir leben, wie wir leben sollen, was wir tun sollen, wer um den Sinn der Welt wissen
3 möchte, wendet sich vergeblich an | die universale Betrachtung, auch wenn sie un-
ter dem Namen Philosophie geht. Die universale Betrachtung spricht allerdings von
den Impulsen, davon, wie Menschen ihren Sinn finden, was sie für recht halten, wel-
che Forderungen sie als unbedingt verbindlich erfahren. Aber sie nimmt nicht Stel-
lung, sie will nicht, wie die prophetische Philosophie irgend etwas propagieren, sie
gibt dem, der Lebenssinn will, Steine statt Brot, sie verweist den, der sich anschlie-
ßen, unterordnen, Schüler sein möchte, auf sich selbst zurück. Er kann nur lernen,
was ihm bestenfalls Mittel ist. Worauf es ankommt, muß er in originaler Erfahrung
selbst finden. Solche Betrachtung nenne ich Psychologie im Gegensatz zur prophe-
Vgl. meine Trauerrede über Max Weber, Tübingen, J. C. B. Mohr, 1921.