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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0137
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Psychologie der Weltanschauungen

4. Es gibt nicht gleichsam eine Linie vom Subjekt zum Objekt, sondern zahlreiche
(man könnte sie sich z.B. als ein sich zerstreuendes Bündel, das im Unendlichen des
Subjekts und Objekts sich zu Punkten vereinigt, oder als eine Menge von Parallelen vor-
stellen). Dies bemerkend erfahren wir, daß es eine Mannigfaltigkeit von Gegenstands-
welten gibt, und daß es möglich ist, die Formen der Gegenständlichkeiten losgelöst vom
Objekt als solchen zu erforschen. Es gibt rationale, ästhetische usw. Gegenstandsfor-
men. Es ist als ob der Weg vom Subjekt zum Objekt durch verschiedenartige Gitterwerke
führt, die als solche zeit- und raumlos, weder Subjekt noch Objekt, sondern sphären-
bildend, »a priori« sind. Nur wo Subjekt-Objekt-Spaltung besteht, kann es solche For-
26 men geben, für alles nicht in dieser Spaltung befindliche gibt es sie dem Sinne | nach
nicht. Man nennt seit Kant die Untersuchung jener Gegenstandsformen transzenden-
tale Untersuchungen; es kann transzendentale Untersuchungen des Rationalen, des
Ästhetischen usw. geben, aber keine transzendentale Untersuchung z.B. des Mystischen,
sondern nur eine psychologische oder metaphysische (natürlich auch eine transzen-
dentale Untersuchung der rationalen Formen, in denen psychologische und metaphy-
sische Urteile sich bewegen). Jene transzendentalen Formen sind als solche leer, bloße
Gitterwerke, sie sind Bedingungen aller Gegenständlichkeit, sie sind nicht psychisch
und nicht physisch, nicht subjektiv und nicht objektiv. Aber je nachdem durch wel-
ches Gitterwerk das Subjekt blickt, je nachdem sieht es spezifische Arten von Objekten
und ist psychologisch in einer spezifischen Erlebnisweise. Jedes Gitterwerk kann sich
über alles legen, es hat keine Grenzen, und jedesmal sehen die Objekte auf besondere
Weise gegenständlich aus. Der fließende Erlebnisstrom, sofern er Subjekt-Objekt-Spal-
tungen in sich trägt, ist innerhalb dieser geformt und abhängig von den festen, kristal-
lisierenden Gitterwerken dieser zeitlosen, unentstandenen, unvergänglichen, gelten-
den, weil ihre Gegenstände erst als Gegenstände bedingenden Formen. Überall, wo ein
Subjekt Gegenständliches vor sich hat, ob im Fiebertraum des Delierenden, im Wahn
und in den abgerissensten Bewußtseinsfetzen des Verrückten, überall sind jene Formen
da. Sie sind das an sich unlebendige Kraftlose; sie sind das Unentbehrliche, das nie, nur
mit dem Bewußtsein selbst, zu Verlierende. Sie sind für das seelische Dasein der Sub-
jekt-Objekt-Spaltung das Medium, wie das Wasser das Unentbehrliche, das Medium,
aber das Gleichgültige und Kraftlose für alles organische Leben ist. Die Untersuchung
dieser Formen treiben die Logik und die analogen Wissenschaften. Für die Erkenntnis
des menschlichen Geistes ist solche Untersuchung nicht viel interessanter, als eine Un-
tersuchung des Wassers und seiner Eigenschaften für die Erkenntnis des Lebens. Oder
sie ist etwa der generellen Morphologie zu vergleichen im Gegensatz zur konkreten,
physiologischen Morphologie. Aber wie man das Wasser kennen muß, um Biologie, so
die transzendentalen Untersuchungen, um Psychologie zu treiben.
5. Die Subjekte und die Gegenstände und zwischen ihnen, diese Beziehung erst er-
möglichend, die transzendentalen Formen, das ist ein Schema für einen Inhalt von
unendlicher Mannigfaltigkeit, ein Schema, in das die ganze Welt gesteckt werden
 
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