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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0140
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Psychologie der Weltanschauungen

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2. Allgemeine Abwandlungsformen der weltanschaulichen Gestalten von einem sub-
stantiellen Zentrum her zum Unechten, zur Formalisierung u.dgl. Von ihnen wird so-
gleich in einem besonderen Abschnitt gehandelt werden.
3. Die dialektische Ordnung der Begriffe, über die hier einiges vorweg bemerkt sei:
Das Inhaltsverzeichnis dieses Buches zeigt auf den ersten Blick viele Dreiteilungen.
Diese beruhen auf einer dialektischen Ordnung, die vielfach, ohne allein herrschend
zu sein, benutzt wurde, weil sie am wenigsten vergewaltigt und die größte Mannigfal-
tigkeit der Gesichtspunkte und Einzelordnungen zu bergen vermag. Wenn die welt-
anschaulichen Gestalten zuerst von der Subjektseite, dann von der Objekts- oder Ge-
genstandsseite, zuletzt in Intention auf etwas, das hinter dieser Spaltung liegt,
betrachtet werden, so ist das eine Dreiteilung, die nach dem Schema entsteht: ein Ge-
gensatzpaar (1. und 2. Teil) und Idee der Synthese (3. Teil). Diese Beziehungen der drei
Teile sind nun nicht etwa Entwicklungsreihen, so daß es mit dem 1. Teil, der Thesis,
anfinge und mit der Synthese aufhöre. Vielmehr ist es ein Herumgehen um ein Gan-
zes, das erst in Gegensätzen, dann selbst ins Auge gefaßt wird. Man könnte ebensogut
sagen, das Ganze stehe am Anfang und der Gegensatz der beiden ersten Teile entfalte
sich daraus. Es handelt sich um eine bloße Ordnung der Begriffe, allerdings auf Grund
einer Anschaulichkeit, die in der Mitte steht, so daß die Ordnung nicht eine ganz äu-
ßerliche ist, ohne doch über reale Prozesse zunächst das Geringste auszusagen. Es han-
delt sich um Zerlegungen eines Ganzen, von dem wir, da nicht alles zugleich zu sagen
ist, nacheinander sprechen. Das Dritte ist jeweils das Zentrum, das Totale, und auch
das Unfaßlichste, von dem die früheren Gestalten abgeleitet sind, in die es sich spal-
tet und konkretisiert. Aus dem En|thusiastischen wird in konkreter Gestalt der Aktive
und Kontemplative usw. Aus dem philosophischen Weltbild leiten sich einzelne be-
grenzte Weltbilder ab. Der Halt im Unendlichen ist die ursprüngliche Quelle sowohl
für den Halt in begrenzten Gehäusen wie für nihilistische Bewegungen. Das Greifbare
liegt immer im ersten und zweiten Teil, hier liegen die faktischen, sichtbaren Mannig-
faltigkeiten, das Dritte ist das Dunkle. Die Gestalten des ersten und zweiten Teiles sind
begrenzt, in ihnen leben wir, und finden wir Angriffspunkte und Ziele des Wollens,
die des Dritten sind nicht direkt zu fassen und zu gewinnen, sondern sie leben sich,
wenn sie da sind, immer sofort in den früheren Gestalten aus, sie bewegend, erfüllend.
Die dialektische Ordnung ist am beweglichsten von allen, weil sie nur die Begriffe
ordnet. Da sie die bloße Ordnung, nichts vom Gegenstand der Betrachtung, verabso-
lutiert, verabsolutiert sie keinen einzelnen Prozeß des Geistes, der weltanschaulichen
Kräfte und Stellungen. Sie vergewaltigt nicht mit einem Entwicklungsschema, son-
dern kann den Ideen die Herrschaft lassen und im einzelnen viele, ja alle Gesichts-
punkte in dem beweglichsten System umfassen. Sie ist als bloße Systematik der Begriffe
vom Leben und Dasein kein System des Lebens und Daseins selbst (das unmöglich wäre
und immer in die Sackgasse rationalistischer Vergewaltigung gerät, die die Menschen
der Existenz entfremdet), sondern erlaubt, mannigfaltigste systematische Gesichts-

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