Psychologie der Weltanschauungen
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Bei dieser Beschreibung der Einstellungen dürfen wir noch nicht an Kunst, nicht
an Wissenschaft und Erkenntnis denken. Das sind viel komplexere Gebilde. Kontem-
plation ist an sich noch weder Kunst noch Erkenntnis, sondern ein gegenständliches
Verhalten, aus dem jene beiden entspringen können.
a) Die intuitiven Einstellungen.
In der intuitiven Einstellung wird gesehen, hingenommen, das beglückende Gefühl
der Fülle und des Grenzenlosen erlebt. Es wird nicht schnell alles unter bekannte Kate-
gorien als richtig agnosziert und subsumiert (mit dem öden Gefühl, im Grunde nichts
| Neues zu erleben, nichts Wesentliches zu sehen, wie es z.B. die intuitive Blindheit bei 65
rationaler Beweglichkeit erfährt); sondern es wird hingebend angeschaut, wartend
hingenommen, das Sehen als »schöpferisches« Erlebnis des Wachsens erlebt. Es wird
deutlich, daß Wille, Zweck, bewußte Zielsetzung stört und verengt, daß das Gegeben-
sein ein günstiges Geschick und Gabe des eigenen Wesens, viel weniger Verdienst von
Willenszielsetzung, Disziplin und Grundsätzen ist, es sei denn des einen Grundsatzes,
sich zunächst fraglos hinzugeben, wenn der Instinkt sagt, daß etwas anschaulich offen-
bar werden soll. Die intuitive Einstellung ist nicht ein schnelles Hinblicken, sondern
ein Sichversenken. Es wird nicht, was vorher gewußt wird, mit einem Blick noch ein-
mal festgestellt, sondern es wird ein Neues, Erfülltes angeeignet in einem Prozeß der
sich entwickelnden Anschaulichkeit. Alles Intuitive besteht zwar in Subjekt-Objektspal-
tung, aber es geht die Bewegung zwischen Subjekt und Objekt auf eine Weise hin und
her, daß ein Bewußtsein der Nähe, des Zusammengehörens, der Verwandtschaft zum
Objekt da ist, während die rationale Einstellung die völlige Distanz schafft, die mysti-
sche Einstellung die Subjekt-Objektspaltung gänzlich aufhebt.
Der Begriff der Anschauung wird im Sprachgebrauch oft begrenzt als sinnliche An-
schauung, wie sie im Sehen, Hören, Tasten usw. gegeben ist, sei es in der unmittelbaren
Wahrnehmung, sei es in der reproduzierten oder der Phantasievorstellung. In einem
weiteren Sinne sind jedoch Anschauungen überall da vorhanden, wo der Inhalt unse-
res Gegenstandsbewußtseins irgendwelche Fülle hat, die wohl durch Definitionen in Be-
griffen umgrenzt, aber nicht erschöpft werden kann. Diese Fülle muß vielmehr - wie
man in Analogie zum Gesichtssinn sagt - gesehen, angeschaut, geschaut werden. Sie
bleibt als solche für jedes Subjekt ganz individuell, ist nicht kommunikabel, als nur so-
weit wie begriffliche oder ästhetische Umgrenzungen und Beziehungen gewonnen
sind. Dabei ist aber auch mit bloß formalen Begriffsdistinktionen keine gegenseitige
Verständigung möglich, sondern nur auf Grund zugleich gemeinsamen Sehens. So ist
die Situation schon bei den einfachsten Empfindungselementen wie den Farben, und
nicht anders bei den sublimsten Sinn- und Symbolanschauungen. Als technische Hilfs-
mittel zur Weckung der Anschauung beim anderen dienen, falls es sich um greifbare
Realitäten handelt, das Vorzeigen des Objekts oder der Abbildung, bei inneren An-
schauungen, auch bei psychologischen, die Gestaltung und suggestive Darstellung in
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Bei dieser Beschreibung der Einstellungen dürfen wir noch nicht an Kunst, nicht
an Wissenschaft und Erkenntnis denken. Das sind viel komplexere Gebilde. Kontem-
plation ist an sich noch weder Kunst noch Erkenntnis, sondern ein gegenständliches
Verhalten, aus dem jene beiden entspringen können.
a) Die intuitiven Einstellungen.
In der intuitiven Einstellung wird gesehen, hingenommen, das beglückende Gefühl
der Fülle und des Grenzenlosen erlebt. Es wird nicht schnell alles unter bekannte Kate-
gorien als richtig agnosziert und subsumiert (mit dem öden Gefühl, im Grunde nichts
| Neues zu erleben, nichts Wesentliches zu sehen, wie es z.B. die intuitive Blindheit bei 65
rationaler Beweglichkeit erfährt); sondern es wird hingebend angeschaut, wartend
hingenommen, das Sehen als »schöpferisches« Erlebnis des Wachsens erlebt. Es wird
deutlich, daß Wille, Zweck, bewußte Zielsetzung stört und verengt, daß das Gegeben-
sein ein günstiges Geschick und Gabe des eigenen Wesens, viel weniger Verdienst von
Willenszielsetzung, Disziplin und Grundsätzen ist, es sei denn des einen Grundsatzes,
sich zunächst fraglos hinzugeben, wenn der Instinkt sagt, daß etwas anschaulich offen-
bar werden soll. Die intuitive Einstellung ist nicht ein schnelles Hinblicken, sondern
ein Sichversenken. Es wird nicht, was vorher gewußt wird, mit einem Blick noch ein-
mal festgestellt, sondern es wird ein Neues, Erfülltes angeeignet in einem Prozeß der
sich entwickelnden Anschaulichkeit. Alles Intuitive besteht zwar in Subjekt-Objektspal-
tung, aber es geht die Bewegung zwischen Subjekt und Objekt auf eine Weise hin und
her, daß ein Bewußtsein der Nähe, des Zusammengehörens, der Verwandtschaft zum
Objekt da ist, während die rationale Einstellung die völlige Distanz schafft, die mysti-
sche Einstellung die Subjekt-Objektspaltung gänzlich aufhebt.
Der Begriff der Anschauung wird im Sprachgebrauch oft begrenzt als sinnliche An-
schauung, wie sie im Sehen, Hören, Tasten usw. gegeben ist, sei es in der unmittelbaren
Wahrnehmung, sei es in der reproduzierten oder der Phantasievorstellung. In einem
weiteren Sinne sind jedoch Anschauungen überall da vorhanden, wo der Inhalt unse-
res Gegenstandsbewußtseins irgendwelche Fülle hat, die wohl durch Definitionen in Be-
griffen umgrenzt, aber nicht erschöpft werden kann. Diese Fülle muß vielmehr - wie
man in Analogie zum Gesichtssinn sagt - gesehen, angeschaut, geschaut werden. Sie
bleibt als solche für jedes Subjekt ganz individuell, ist nicht kommunikabel, als nur so-
weit wie begriffliche oder ästhetische Umgrenzungen und Beziehungen gewonnen
sind. Dabei ist aber auch mit bloß formalen Begriffsdistinktionen keine gegenseitige
Verständigung möglich, sondern nur auf Grund zugleich gemeinsamen Sehens. So ist
die Situation schon bei den einfachsten Empfindungselementen wie den Farben, und
nicht anders bei den sublimsten Sinn- und Symbolanschauungen. Als technische Hilfs-
mittel zur Weckung der Anschauung beim anderen dienen, falls es sich um greifbare
Realitäten handelt, das Vorzeigen des Objekts oder der Abbildung, bei inneren An-
schauungen, auch bei psychologischen, die Gestaltung und suggestive Darstellung in