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Psychologie der Weltanschauungen
Weltbilder als großartige Bilder des Ganzen werden uns sowohl in philosophisch
rationaler Form wie in ästhetisch isolierender Form geboten. Die Zweideutigkeit aller
Weltbilder, sofern sie als Weltanschauungen und als ästhetische Inhalte sich geben,
bringen die eigentümlichen Unechtheiten mit sich: Die Weltbilder, die als bloße Me-
dien verantwortlicher Kräfte zum Leben des Geistes gehören, werden rein kontempla-
tiv in Befriedigung, die genug tut, genossen und dabei fälschlich ein Sinn, eine Erbau-
71 ung und Erhebung erlebt, | die real genommen werden, so daß durch Einmischung
dieses Interesses die Einstellung keine rein ästhetische, aber auch keine praktisch le-
bendige ist. Fast alle Metaphysik betrügt so auf dem Wege des Ästhetischen, indem sie
der isolierenden Kontemplation gibt, was nur dem praktischen Tun und verantwort-
lichen Entscheiden echt erfahrbar ist. Denselben Betrug vermag die Kunst auszuüben,
die - als große Kunst - zu aller Zeit viel mehr als bloß ästhetisch ist, alles Geistige,
Ideenhafte und Religiöse in sich schließt. Sie betrügt nicht, sofern der Mensch in ihr
schaffend und rezeptiv einen Sinn erlebt, sondern sofern dieser Sinn für das Absolute
und für die Realität des verantwortungsvollen Lebens selbst gesetzt wird. Metaphysik
und Kunst werden, vermöge der ästhetischen Einstellung, die in beiden vorhanden ist,
Verführungen zur Abwendung von der Existenz, wenn die ästhetische Einstellung
nicht in ihrer Besonderheit instinktiv oder bewußt erkannt ist1).
c) Die rationale Einstellung.
Wenn die überströmenden, fließenden Anschaulichkeiten in sich getrennt und um-
grenzt werden, so ist schon die ästhetische oder die rationale Einstellung da; beide las-
sen sich nur abstrahierend von der intuitiven Einstellung trennen, in der immer schon
Keime jener anderen Einstellungen stecken, wie sie Voraussetzung für diese bleibt. Es
kontrastieren sich nur die ästhetische und die rationale Einstellung: die ästhetische
umgrenzt, indem sie isoliert und die Beziehungen dieser umgrenzten Anschauungs-
sphäre abbricht; die rationale umgrenzt, um das Begrenzte gerade zueinander in un-
endliche Beziehungen zu bringen. Solche Umgrenzungen heißen im weitesten Sinne
»Begriffe«; sie begreifen etwas Anschauliches in sich; alle Begriffsbildung ist nichts als
Begrenzung, Formung und Beziehung von Anschauungen.
Die reine Anschauung hätte, wenn es sie gäbe, unendlichen Charakter; jede Grenz-
setzung hebt etwas heraus, was dadurch endlich wird. Dieses Begrenzen oder Grenze-
setzen heißt auch »bestimmen«. Die verendlichende Wirkung der rationalen Einstel-
lung ist mit einem anderen Worte als »negierende« bezeichnet worden (omnis
determinatio est negatio, Spinoza).79 Die rationale Grenzsetzung ist eine Grenzsetzung
gegen ein anderes: Allgemein ausgedrückt, die rationale Formung bewegt sich unver-
meidlich in Gegensätzen. Indem die rationale Einstellung irgendein Umgrenztes
72 »setzt«, schließt sie ein anderes aus. Die rationale Ein|stellung kann daher nie Ganz-
Diese Einsichten sind vor allem Kierkegaard zu verdanken.
Psychologie der Weltanschauungen
Weltbilder als großartige Bilder des Ganzen werden uns sowohl in philosophisch
rationaler Form wie in ästhetisch isolierender Form geboten. Die Zweideutigkeit aller
Weltbilder, sofern sie als Weltanschauungen und als ästhetische Inhalte sich geben,
bringen die eigentümlichen Unechtheiten mit sich: Die Weltbilder, die als bloße Me-
dien verantwortlicher Kräfte zum Leben des Geistes gehören, werden rein kontempla-
tiv in Befriedigung, die genug tut, genossen und dabei fälschlich ein Sinn, eine Erbau-
71 ung und Erhebung erlebt, | die real genommen werden, so daß durch Einmischung
dieses Interesses die Einstellung keine rein ästhetische, aber auch keine praktisch le-
bendige ist. Fast alle Metaphysik betrügt so auf dem Wege des Ästhetischen, indem sie
der isolierenden Kontemplation gibt, was nur dem praktischen Tun und verantwort-
lichen Entscheiden echt erfahrbar ist. Denselben Betrug vermag die Kunst auszuüben,
die - als große Kunst - zu aller Zeit viel mehr als bloß ästhetisch ist, alles Geistige,
Ideenhafte und Religiöse in sich schließt. Sie betrügt nicht, sofern der Mensch in ihr
schaffend und rezeptiv einen Sinn erlebt, sondern sofern dieser Sinn für das Absolute
und für die Realität des verantwortungsvollen Lebens selbst gesetzt wird. Metaphysik
und Kunst werden, vermöge der ästhetischen Einstellung, die in beiden vorhanden ist,
Verführungen zur Abwendung von der Existenz, wenn die ästhetische Einstellung
nicht in ihrer Besonderheit instinktiv oder bewußt erkannt ist1).
c) Die rationale Einstellung.
Wenn die überströmenden, fließenden Anschaulichkeiten in sich getrennt und um-
grenzt werden, so ist schon die ästhetische oder die rationale Einstellung da; beide las-
sen sich nur abstrahierend von der intuitiven Einstellung trennen, in der immer schon
Keime jener anderen Einstellungen stecken, wie sie Voraussetzung für diese bleibt. Es
kontrastieren sich nur die ästhetische und die rationale Einstellung: die ästhetische
umgrenzt, indem sie isoliert und die Beziehungen dieser umgrenzten Anschauungs-
sphäre abbricht; die rationale umgrenzt, um das Begrenzte gerade zueinander in un-
endliche Beziehungen zu bringen. Solche Umgrenzungen heißen im weitesten Sinne
»Begriffe«; sie begreifen etwas Anschauliches in sich; alle Begriffsbildung ist nichts als
Begrenzung, Formung und Beziehung von Anschauungen.
Die reine Anschauung hätte, wenn es sie gäbe, unendlichen Charakter; jede Grenz-
setzung hebt etwas heraus, was dadurch endlich wird. Dieses Begrenzen oder Grenze-
setzen heißt auch »bestimmen«. Die verendlichende Wirkung der rationalen Einstel-
lung ist mit einem anderen Worte als »negierende« bezeichnet worden (omnis
determinatio est negatio, Spinoza).79 Die rationale Grenzsetzung ist eine Grenzsetzung
gegen ein anderes: Allgemein ausgedrückt, die rationale Formung bewegt sich unver-
meidlich in Gegensätzen. Indem die rationale Einstellung irgendein Umgrenztes
72 »setzt«, schließt sie ein anderes aus. Die rationale Ein|stellung kann daher nie Ganz-
Diese Einsichten sind vor allem Kierkegaard zu verdanken.