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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0186
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Psychologie der Weltanschauungen

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ren mache, wie man nacheinander Entgegengesetztes | beweisen könne, wie man 84
Scherz durch Ernst und Ernst durch Scherz vernichte usw?).102
b) Der Gefühlsmensch: Die Tendenz im Rationalen, sich selbst durch sich selbst zu
überwinden, das eigene Werk gleichsam in Flammen aufgehen zu lassen, aus denen
Leben wächst, wird verselbständigt und formalisiert, wenn man sich, vermeintlich zu
jenem Ziele direkt hinspringend, um den Weg und die Arbeit des Rationalen herum-
drückt. Man beruft sich auf das Gefühl, auf das unmittelbare Wissen; man weiß z.B.,
alles sei eins, und man schwärmt für die Einheit. Die vollständige Gestalt des Rationa-
len entwickelt sich jedoch nur im Ganzen, die Überwindung des Rationalen ist nur
durch rationale Arbeit, nicht durch Gefühl zu erreichen. Formalisierung ist es sowohl,
wenn der rationale Apparat, das Letzte und das Ziel vergessen wird, Formalisierung ist
aber auch dieses Scheinerleben der Grenze, das vorwegnimmt, was es nur äußerlich er-
fahren, jedoch nie begreifen kann. Alle Motive zufälliger Art, das Chaos und die Zu-
sammenhangslosigkeit finden wieder Eingang, indem mit anscheinendem Recht das
Rationale negiert wird, während diese Negation erst als ein Moment erfahren werden
kann, wenn das Rationale in sich selbst Grenzen erreicht. Mit der Motivierung, man
solle sich durch die formalen Schemata nicht vergewaltigen lassen, schiebt man das
Rationale überhaupt fort, ohne es durcharbeitend zu überwinden, indem man es stän-
dig vertieft, in sich aufnimmt und wieder begrenzt. Man widerstrebt dem Vernünfti-
gen, weicht dem Dialektischen der Reflexion aus und wird ein Barbar im griechischen
Sinne, das heißt ein Mensch, der nicht auf Gründe hört. Diesem negierenden Irratio-
nalisten gelten Mephistos Worte:
Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
Des Menschen allerhöchste Kraft,
Laß nur in Blend- und Zauberwerken
Dich von dem Lügengeist bestärken,
So hab ich dich schon unbedingt.103
3. Die mystische Einstellung.
Im Gegensatz und oft in Reaktion gegen die rationale Einstellung in ihrer gegenständ-
lichen Zersplitterung und häufigen formalen Entleerung wird in der mystischen Ein-
stellung ein Einheitliches und Totales erlebt, das eine ganz irrationale Fülle hat. Die
mystische Einstellung ist vergleichbar der intuitiven, jedoch gibt sie nicht Anschau-
ungen als mögliches Material rationaler Formung, sondern bedeutet etwas, das ewig
jenseits aller rationalen Fassung liegt.
| Das entscheidende Merkmal der mystischen Einstellung ist die Aufhebung des Ge- 85
genüberstehens von Subjekt und Objekt (von Ich und Gegenstand). Daher ist alles Mysti-

Vgl. zur Eristikz.B. Schopenhauer (Reclam) 1,86-90; 5,33-40.
 
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