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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0191
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Psychologie der Weltanschauungen

90 | Der Versuch der Trennung gelingt also nicht mit voller Klarheit. An dieser Stelle
fand die mystische Einstellung in der spezifischen Richtung ihren Platz, daß sie die
Subjekt-Objektspaltung aufhebt, während in der aktiven Einstellung das Objekt vom
Subjekt gestaltend assimiliert, in der kontemplativen Einstellung das Objekt vom Sub-
jekt distanziert wird.
B. Selbstreflektierte Einstellungen.
Es ist ein Urphänomen unserer Seele, daß nach der Richtung des Bewußtseins auf die
Welt der außerbewußten Gegenstände gleichsam eine Umkehr der Richtung auf die
Seele selbst eintritt. Nach dem Bewußtsein gibt es ein Selbstbewußtsein. Die gegen-
ständliche Intention biegt sich gleichsam zurück, »reflektiert« sich auf die Seele und
macht nunmehr zum Gegenstände, was Ich, Selbst, Persönlichkeit genannt wird. So
baut sich auf dem unmittelbaren Seelenleben ein reflektiertes Seelenleben auf. Dieses
ist entweder betrachtend oder wird dem Selbst gegenüber aktiv.
1. Kontemplative Selbstreflexion.
Wir sehen uns selbst, wir täuschen uns über uns selbst, und wir bewerten uns selbst. Das
Selbst, das wir sehen, ist aber nicht als ein festes Sein da, vielmehr sehen wir einzelne
erlebte Phänomene, einzelne Zusammenhänge und ordnen dies Einzelne mehr oder
weniger bewußt in ein Schema des Selbst als eines Ganzen ein. Solcher Schemata des
Selbst stehen uns viele zur Verfügung, wir verwechseln sie mit dem realen Selbst, das
vollendet und ganz uns nie Gegenstand ist, da es beständig wird und problematisch
bleibt. Wir vermögen allerdings die Verwechslung so weit zu treiben, daß wir restlos für
ein solches Schema leben, welches wir für unser reales Selbst halten, z.B. für uns als bür-
gerliche Existenz, für eine bestimmte Vorstellung vom Glück des Selbst usw. Das Sehen
des Selbst führt immerfort zu Täuschungen, wenn das Selbst als ein Ganzes vermeint-
lich gesehen wird. Unsere Selbsterkenntnis ist vielmehr eine unendliche Aufgabe, die
zudem am wenigsten in bloß zusehender Kontemplation klar wird, sondern in beweg-
ter, lebendiger Erfahrung. Weiter führen die Vereinfachungen durch Schemata des
Selbst das Selbstsehen fortwährend zu Täuschungen. Die Schemata werden dargeboten
durch die Formeln der Sprache, durch die menschlichen Typen, wie sie als gesehene
Gestalten von der Kunst und Psychologie im Laufe der Jahrhunderte hingestellt wor-
91 den sind, durch die Intellektualisierung, welche an die Stelle erfahrenen Selbsts eine
Existenz nach formulierten Grundsätzen und Regeln setzt, durch das, was andere von
uns denken, was wir im Spiegel unserer Umgebung für uns sind. Die Täuschungen ge-
winnen dabei ihre Kraft durch den Drang, sich selbst zu werten. Das Bild des Selbst wird
stilisiert, damit es uns angenehm wird, es wird übersehen und vergessen, was nicht
paßt, vom Erfolg und letzten Resultat her wird die Vergangenheit zu einem entspre-
chenden Bilde umgeformt. Oder umgekehrt wird das Selbst so gesehen, daß es verach-
 
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