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Psychologie der Weltanschauungen
sen Leben es in fortwährenden verständlichen Zusammenhängen herauswächst und - unter
den typischen und unvermeidlichen Schwankungen - als Bewegung bestehen bleibt; oder das
enthusiastische Erleben überkommt den Menschen, ihm - soweit verstehbar - bis dahin fremd,
aus Quellen, die allein der kausalen Betrachtung außerbewußter und leiblicher Zusammen-
hänge zugänglich sind. Die psychotische Genese entscheidet zwar noch nicht über die Art, den
Inhalt, den Wert dieses enthusiastischen Erlebens. Es kann zugleich aus der Gesamtpersönlich-
keit entsprungen sein und nur psychotische Form annehmen; es kann in verständliche Zusam-
menhänge des weiteren Lebensablaufs treten. Aber es kann, wie gewöhnlich, auch restlos ver-
schwinden und ohne Beziehung zur Persönlichkeit bleiben. Man wird bei der nur zuschauenden
Auffassung meistens geneigt sein, bloß das Formale der eigentümlichen Affekte, nicht die Sub-
stanz der enthusiastischen Bewegung zu sehen.
Auch ganz außerhalb aller unverständlichen psychotischen Kausalketten bleibt in
der äußerlichen Verwandtschaft der Form des Affekts ein polarer Gegensatz zwischen
dem Substantiellen des Enthusiasmus und dem bloßen Rausche, der der Persönlich-
keit nur oberflächlich anhaftet, zwischen der besonnenen, disziplinierten Ergriffen-
heit, die gar nicht die höchsten Grade des Affekts zu erreichen braucht, und der Ek-
stase, in der der Affekt hemmungslos alle Grenzen überschreitet.
Dieser Gegensatz des ideenhaften Enthusiasmus, der überall gestaltend ist und in die
Kontinuität eines persönlichen Werdens eintritt, und des Rausches, der nichts gestal-
tet und die bloße psychologische Form ohne die Substanz ist, kennzeichnen folgende
138 Formeln: Der Enthusiasmus ist sachlich fixiert, lebt im Endlichen | auf ein Ganzes ge-
richtet, der Rausch vergißt alle Sachen und Wirklichkeiten. Der Enthusiasmus entwik-
kelt in sich Kräfte von Maß und Besonnenheit, der Rausch ist unberechenbar maßlos.
Der Enthusiasmus ist trotz allen Überwindens und Opferns treu, denn in ihm sind Rea-
lität und Antinomien gesehen und die Relativitäten des gegenständlichen Daseins ide-
enhaft durchdrungen. Der Rausch ist treulos, weil unsachlich; er ist illusionär ohne
Beziehung zur Realität. Der Mensch verläßt plötzlich eine Sache, die eben Gegenstand
seines Rausches war, sie nun wegwerfend; er ist außerhalb des Rausches leicht Veräch-
ter der Wirklichkeit oder beziehungslos ein klarer Realist ohne Idee. Der Enthusiasmus
wagt das Selbst in einer Idee, hat Opfermut. Im Rausch besteht ein zielloser Opferdrang,
der sich seinen Zweck erst sekundär sucht. Der Enthusiasmus tendiert dazu, dauernde
Beseelung der Persönlichkeit zu werden, der Rausch ist seinem Wesen nach etwas Zeit-
weises, das kommt und geht und Öde zurückläßt. Der Enthusiasmus hat Glauben, der
Mensch des Rausches muß sich selbst beweisen und beweist sich etwa durch Opfern
aus bloßem Opferdrang.
Der Rausch kann als Schwärmerei einen Fanatismus entfalten. Während der Enthu-
siastische hartnäckig in der Festhaltung der Ideen, aber lebendig in der Apperzeption
des Neuen, in der Assimilation der konkreten Situation ist, ist der Schwärmer zu einem
merkwürdigen Fanatismus fähig: Er fährt sich fest in einer bestimmten formulierten,
d.h. einer fixen Idee, er kettet sich an einen Menschen als Autorität (Meister, Prophet),
Psychologie der Weltanschauungen
sen Leben es in fortwährenden verständlichen Zusammenhängen herauswächst und - unter
den typischen und unvermeidlichen Schwankungen - als Bewegung bestehen bleibt; oder das
enthusiastische Erleben überkommt den Menschen, ihm - soweit verstehbar - bis dahin fremd,
aus Quellen, die allein der kausalen Betrachtung außerbewußter und leiblicher Zusammen-
hänge zugänglich sind. Die psychotische Genese entscheidet zwar noch nicht über die Art, den
Inhalt, den Wert dieses enthusiastischen Erlebens. Es kann zugleich aus der Gesamtpersönlich-
keit entsprungen sein und nur psychotische Form annehmen; es kann in verständliche Zusam-
menhänge des weiteren Lebensablaufs treten. Aber es kann, wie gewöhnlich, auch restlos ver-
schwinden und ohne Beziehung zur Persönlichkeit bleiben. Man wird bei der nur zuschauenden
Auffassung meistens geneigt sein, bloß das Formale der eigentümlichen Affekte, nicht die Sub-
stanz der enthusiastischen Bewegung zu sehen.
Auch ganz außerhalb aller unverständlichen psychotischen Kausalketten bleibt in
der äußerlichen Verwandtschaft der Form des Affekts ein polarer Gegensatz zwischen
dem Substantiellen des Enthusiasmus und dem bloßen Rausche, der der Persönlich-
keit nur oberflächlich anhaftet, zwischen der besonnenen, disziplinierten Ergriffen-
heit, die gar nicht die höchsten Grade des Affekts zu erreichen braucht, und der Ek-
stase, in der der Affekt hemmungslos alle Grenzen überschreitet.
Dieser Gegensatz des ideenhaften Enthusiasmus, der überall gestaltend ist und in die
Kontinuität eines persönlichen Werdens eintritt, und des Rausches, der nichts gestal-
tet und die bloße psychologische Form ohne die Substanz ist, kennzeichnen folgende
138 Formeln: Der Enthusiasmus ist sachlich fixiert, lebt im Endlichen | auf ein Ganzes ge-
richtet, der Rausch vergißt alle Sachen und Wirklichkeiten. Der Enthusiasmus entwik-
kelt in sich Kräfte von Maß und Besonnenheit, der Rausch ist unberechenbar maßlos.
Der Enthusiasmus ist trotz allen Überwindens und Opferns treu, denn in ihm sind Rea-
lität und Antinomien gesehen und die Relativitäten des gegenständlichen Daseins ide-
enhaft durchdrungen. Der Rausch ist treulos, weil unsachlich; er ist illusionär ohne
Beziehung zur Realität. Der Mensch verläßt plötzlich eine Sache, die eben Gegenstand
seines Rausches war, sie nun wegwerfend; er ist außerhalb des Rausches leicht Veräch-
ter der Wirklichkeit oder beziehungslos ein klarer Realist ohne Idee. Der Enthusiasmus
wagt das Selbst in einer Idee, hat Opfermut. Im Rausch besteht ein zielloser Opferdrang,
der sich seinen Zweck erst sekundär sucht. Der Enthusiasmus tendiert dazu, dauernde
Beseelung der Persönlichkeit zu werden, der Rausch ist seinem Wesen nach etwas Zeit-
weises, das kommt und geht und Öde zurückläßt. Der Enthusiasmus hat Glauben, der
Mensch des Rausches muß sich selbst beweisen und beweist sich etwa durch Opfern
aus bloßem Opferdrang.
Der Rausch kann als Schwärmerei einen Fanatismus entfalten. Während der Enthu-
siastische hartnäckig in der Festhaltung der Ideen, aber lebendig in der Apperzeption
des Neuen, in der Assimilation der konkreten Situation ist, ist der Schwärmer zu einem
merkwürdigen Fanatismus fähig: Er fährt sich fest in einer bestimmten formulierten,
d.h. einer fixen Idee, er kettet sich an einen Menschen als Autorität (Meister, Prophet),