Psychologie der Weltanschauungen
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lebnis vorhanden, von ihm nur hier und dort, nicht als Ganzes auch gegenständlich
gewußt vor ihn hingestellt. Wir würden unter diesem Gesichtspunkt folgende drei Stu-
fen unterscheiden können:
1. Die erlebte, mit der Seele verwachsene Welt, die nicht formuliert und gegenständlich ge-
wußt wird, aber eminent wirksam ist. Sie kann nur von außen beobachtet und beschrie-
ben werden, der Erlebende weiß von ihr nicht. Sucht man etwa durch Fragen einen
Menschen daraufhin zu untersuchen, was er weiß, in der Meinung dadurch sein Welt-
bild festzustellen, so ent|geht einem diese erlebte, wirksame Welt, die als »Lebenswis-
sen«, als Können, als Gefühl und Wertung nicht nur vorhanden, sondern gerade das
Beherrschende, das den Menschen in erster Linie Charakterisierende ist.
2. Die objektivierte, gewußte, vor den Menschen hingestellte Welt, über die er Auskunft
geben kann, braucht nicht aufzuhören, gleichzeitig mit seiner Seele verwachsen zu
sein. Es ist in uns der Prozeß, der fortwährend das, was in uns da ist, auch vor uns für
unser bewußtes Wissen hinstellt, der unendlich fortschreitend aus der engen Welt des
unlösbaren Verwachsenseins eine innere weitere Welt entstehen läßt. Es ist so, als ob
jeweils am Rande dieser gewußten Welt eine immer wachsende ungewußt, aber fak-
tisch ihre Wirkung habe, und unablässig den Objektivierungsprozeß zu einem totalen
Weltbild für das Bewußtsein fortsetzte, indem sie ihm Nahrung gibt.
3. Die bloß gewußte, nicht erlebte Welt ist psychologisch wenig wirksam. Es ist eine
fundamentale Tatsache, daß alles Gegenständliche als solches in der Sphäre des Allge-
meinen und übertragbar ist. Wir können wissend uns riesige Weltbilder äußerlich an-
eignen, ohne mit ihnen verwachsen zu sein. Es sind Gehäuse, die da sind, aber nichts
Lebendiges bedeuten, nicht wirken, nicht geschaffen und erfahren sind. Sie sind bloß
gewußt, nicht zu eigen gemacht. Es ist das Charakteristikum gebildeter Zeiten, daß wir
uns mit Weltbildern umgeben, denen unsere Seele nicht gewachsen ist, in denen wir
nicht leben. »Es ist ein Fehler unserer Zeit, daß jeder Dummkopf etwas gelernt hat.«
(Hebbel.)158
Diese drei so getrennten Daseinsweisen der Weltbilder sind im Individuum, sich
gegenseitig durchdringend, immer zusammen. Zwar kann der Masse nach das eine
oder andere überwiegen.
Überwiegt die unmittelbare, verwachsene, nicht als gewußt gegenständlich gewor-
dene Welt, so ist die Welt notwendig zugleich eng, auf die sinnlich-räumliche Umge-
bung, auf die konkreten, individuellen Verhältnisse beschränkt. Das klassische Bei-
spiel sind jene bildungsarmen Kinder, die in grenzenloses, ratloses Heimweh verfallen,
wenn sie aus dem ländlichen Elternhause in ihre erste Stellung kommen.159 Hier sieht
man, wie sehr Mensch und Welt verwachsen und eins sind, wie der Mensch aufhört
seelisch zu leben, wenn er seiner Welt beraubt wird. »Die Umgebung des heimweh-
kranken Kindes ist noch durchaus zu seiner Persönlichkeit gehörig, es ist ganz unselb-
ständig und haltlos, wenn man es aus dieser nimmt. Es ist dann wie eine Pflanze, die
aus dem Boden genommen ist, in dem sie sich mit allen Wurzeln verankert hatte. Das
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lebnis vorhanden, von ihm nur hier und dort, nicht als Ganzes auch gegenständlich
gewußt vor ihn hingestellt. Wir würden unter diesem Gesichtspunkt folgende drei Stu-
fen unterscheiden können:
1. Die erlebte, mit der Seele verwachsene Welt, die nicht formuliert und gegenständlich ge-
wußt wird, aber eminent wirksam ist. Sie kann nur von außen beobachtet und beschrie-
ben werden, der Erlebende weiß von ihr nicht. Sucht man etwa durch Fragen einen
Menschen daraufhin zu untersuchen, was er weiß, in der Meinung dadurch sein Welt-
bild festzustellen, so ent|geht einem diese erlebte, wirksame Welt, die als »Lebenswis-
sen«, als Können, als Gefühl und Wertung nicht nur vorhanden, sondern gerade das
Beherrschende, das den Menschen in erster Linie Charakterisierende ist.
2. Die objektivierte, gewußte, vor den Menschen hingestellte Welt, über die er Auskunft
geben kann, braucht nicht aufzuhören, gleichzeitig mit seiner Seele verwachsen zu
sein. Es ist in uns der Prozeß, der fortwährend das, was in uns da ist, auch vor uns für
unser bewußtes Wissen hinstellt, der unendlich fortschreitend aus der engen Welt des
unlösbaren Verwachsenseins eine innere weitere Welt entstehen läßt. Es ist so, als ob
jeweils am Rande dieser gewußten Welt eine immer wachsende ungewußt, aber fak-
tisch ihre Wirkung habe, und unablässig den Objektivierungsprozeß zu einem totalen
Weltbild für das Bewußtsein fortsetzte, indem sie ihm Nahrung gibt.
3. Die bloß gewußte, nicht erlebte Welt ist psychologisch wenig wirksam. Es ist eine
fundamentale Tatsache, daß alles Gegenständliche als solches in der Sphäre des Allge-
meinen und übertragbar ist. Wir können wissend uns riesige Weltbilder äußerlich an-
eignen, ohne mit ihnen verwachsen zu sein. Es sind Gehäuse, die da sind, aber nichts
Lebendiges bedeuten, nicht wirken, nicht geschaffen und erfahren sind. Sie sind bloß
gewußt, nicht zu eigen gemacht. Es ist das Charakteristikum gebildeter Zeiten, daß wir
uns mit Weltbildern umgeben, denen unsere Seele nicht gewachsen ist, in denen wir
nicht leben. »Es ist ein Fehler unserer Zeit, daß jeder Dummkopf etwas gelernt hat.«
(Hebbel.)158
Diese drei so getrennten Daseinsweisen der Weltbilder sind im Individuum, sich
gegenseitig durchdringend, immer zusammen. Zwar kann der Masse nach das eine
oder andere überwiegen.
Überwiegt die unmittelbare, verwachsene, nicht als gewußt gegenständlich gewor-
dene Welt, so ist die Welt notwendig zugleich eng, auf die sinnlich-räumliche Umge-
bung, auf die konkreten, individuellen Verhältnisse beschränkt. Das klassische Bei-
spiel sind jene bildungsarmen Kinder, die in grenzenloses, ratloses Heimweh verfallen,
wenn sie aus dem ländlichen Elternhause in ihre erste Stellung kommen.159 Hier sieht
man, wie sehr Mensch und Welt verwachsen und eins sind, wie der Mensch aufhört
seelisch zu leben, wenn er seiner Welt beraubt wird. »Die Umgebung des heimweh-
kranken Kindes ist noch durchaus zu seiner Persönlichkeit gehörig, es ist ganz unselb-
ständig und haltlos, wenn man es aus dieser nimmt. Es ist dann wie eine Pflanze, die
aus dem Boden genommen ist, in dem sie sich mit allen Wurzeln verankert hatte. Das
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