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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0247
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Psychologie der Weltanschauungen

was wir von dieser umgebenden Raumwelt wissen, mit dem was für das Seelenleben
da und was für es relevant ist, so bemerken wir: Nicht alles, was die Seele umgibt, was
dort als Mannigfaltigkeit physikalischer und chemischer Kräfte existiert, wirkt auch
auf sie; aus der faktischen umgebenden Welt ist ein Ausschnitt die Reizwelt, welche auf
den Leib überhaupt eine Einwirkung hat. Was aus der umgebenden Welt als Reiz auf
uns einwirkt, das tritt keineswegs auch alles in unser vorstehendes Bewußtsein; aus der
Reizwelt, die als solche Wirkungen hat, aber außerbewußt bleibt, hebt sich der engere
Kreis der gegenständlichen Welt heraus. Die objektive Welt als die für den Naturforscher
vorhandene, die Reizwelt als die Auswahl der auf den Organismus und das Außerbe-
wußte wirksamen Welt, die gegenständliche Welt als die weitere Auswahl dessen, was
dem Bewußtsein gegenüber tritt und allein das »Weltbild« ist, sind die drei Kategorien,
nach denen die der Seele zeitlich und räumlich gegenwärtige, unmittelbar wirksame
und greifbare Welt vom Beobachter analysiert wird.
v. Üxküli?)166 hat in schlagender Weise die Welten, in denen die Tiere, vor allem
die Wirbellosen leben, dieser Betrachtungsweise unterzogen. Er stellt objektiv durch
Beobachtung und Experiment fest, was auf die einzelnen Organismen wirkt, was nicht,
und kann so ein Bild entwerfen von der Welt, die für das Tier als Reiz da ist; diese ist
oft eine äußerst enge Auswahl gegenüber der Welt, auf die seinerseits das Tier zurück-
wirkt (der Wirkungswelt), oder gar der objektiven Welt des Naturwissenschaftlers (von
der Seele ist nie dabei die Rede, sondern nur von den objektiven, naturwissenschaft-
lich greifbaren Tatsachen). So gibt es Organismen, die nur auf einzelne chemische Qua-
litäten reagieren, oder auf optische Helligkeitsreize; eine differenziertere Stufe ist es,
wenn schon Formen von Gegenständen sich wirksam erweisen. Immer ist es überra-
schend, wie wenig ausgebreitet - oft wie der unseren gegenüber fremdartig - die
Reizwelt dieser Wirbellosen ist, wie völlig ein zweckmäßiger Zusammenhang zwischen
dieser Reizwelt, dem Leben und den lebensnotwendigen Rückwirkungen des Tieres be-
155 steht, und wie mannigfaltig die Welten | sind, in denen die Tiere durch die Auswahl
seitens ihrer Reizfähigkeit leben.
Handelt es sich hier um Probleme, die nur objektiv biologisch, kaum subjektiv psy-
chologisch zu begreifen sind, beginnt die psychologische Betrachtung erst da, wo wir -
im Gegensatz zum uns unbekannten Seelenleben der Tiere - unser eigenes Weltbild
erlebnismäßig kennen. Das unmittelbar gegenwärtig erlebte Weltbild ist der Ausgangs-
punkt für alle weiteren. Es ist gewiß für den Menschen ebenso spezifisch und eine von
unendlichen Möglichkeiten, wie die Welten der Tierarten untereinander verschieden
sind. Unsere Wahrnehmungswelt ist eine menschliche Welt. Sie ist uns allerdings voll-
kommen selbstverständlich: Die Farben, Töne und Gerüche, der Horizont und die fla-
che Himmelsschale, die Weichheit und Festigkeit der Gegenstände usw.

Bausteine zu einer biologischen Weltanschauung. München 1913.
 
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