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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0254
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Psychologie der Weltanschauungen 161
ist, das ist bisher nicht durch ein Werk erwiesen. Es ist evident, daß nichts gegenständ-
lich Greifbares hierbei jemals eine Aufklärung geben kann. Aber ebenso evident bleibt
die Echtheit unseres Erlebens, dessen Deutung und Wirkung vom Ganzen der Welt-
anschauung abhängt.
Es kommt für die Klarheit der Zusammenhänge darauf an, die vollständige Ver-
schiedenheit ästhetischer Anschauung von dem naturmythischen Weltbild festzuhal-
ten. Die ästhetische Einstellung ist eine formale, die inhaltlich sich mit allem erfüllen
kann. Da man die gegenwärtige Sphäre als Inhalt philosophischen Denkens, spezifi-
scher mythischer Wissenschaft, der Theosophie, zurzeit nicht mehr gelten läßt, nennt
man sie fälschlich darum ästhetisch, weil die ästhetische Form diejenige ist, in der al-
lein der gegenwärtige Mensch sich diese Anschaulichkeiten erlaubt und zugänglich
macht.
Das mythische Weltbild hat keine Grenzen, so wenig als eines der anderen. Die
technische Welt z.B. und auch die seelisch-histoIrische Welt ist in diesen Kreis gezo- 163
gen. Selbst die Maschinen gewinnen ein mythisches Leben.
Die drei Typen vermögen wohl im selben Individuum zusammenzutreten und Syn-
thesen einzugehen, aber ihre volle Ausbildung, ihre klarste Entwicklung bekommen
sie doch in der einseitigen Form ausschließender Realisierung. Sie sind alle einmal zu
philosophischen Weltbildern verabsolutiert worden: das naturmechanische Weltbild zu
dem mechanistischen Weltbild überhaupt durch die Materialisten von Demokrit bis
zu denen des 19. Jahrhunderts; das naturgeschichtliche Weltbild zum Naturalismus, der
das Organische, das Lebendige und die reiche, qualitative Mannigfaltigkeit im Zen-
trum seines Weltbilds hat (z.B. Haeckel,173 ferner der Biologismus bis zu naturalisti-
scher Ausdrucksweise der Lebensphilosophie, die Philosophie des Geistes ist); das na-
turmythische Weltbild zur romantischen Naturphilosophie (mythische Weltauffassung,
Theosophie, - auch die eigentümliche Philosophie Fechners).174
Im Konkreten liegen diese Weltbilder oft miteinander im Kampf oder verharren in
absoluter gegenseitiger Verständnislosigkeit. Zur Veranschaulichung dienen folgende
Beispiele:
a) Goethe bekämpfte in seiner Farbenlehre leidenschaftlich die NEWTONsche me-
chanische Erklärung;175 dafür wurde er selbst von den Physikern seiner Zeit angegrif-
fen oder nicht ernst genommen. Beide verstanden sich nicht: Goethe hielt die me-
chanische Naturerklärung für etwas Absolutes, für Naturphilosophie, während sie
doch nur die abstrahierende Heraushebung eines Zusammenhangs war zur Erfassung
und Beherrschung der Natur unter diesem Gesichtspunkt').176 Ebenso verabsolutierte
Goethe sein eigenes naturgeschichtliches Verfahren und mußte irren, insofern er das
Wesen des anderen nicht erkannte. Er war im naturgeschichtlichen Weltbild der sinn-
lichen Anschaulichkeit, der Erscheinung als solcher ergeben; er empfand die ganze

So charakterisierte Dilthey treffend den Gegensatz.
 
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