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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0256
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Psychologie der Weltanschauungen

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kannte Mechanische als Element voraus, wenn auch die Beschreibung ganz andere
Ziele als mechanische Einsichten hat; z.B. ist das Mechanische in der Anatomie nicht
derart, daß neue mechanische Einsichten da entsprängen | und gesucht würden, son- 165
dern das Ziel, die zweckmäßigen Organisationen als solche zu sehen und damit eine
sinnvolle Beschreibung zu finden, ordnet das Mechanische unter, das jeden einzelnen
Zweckzusammenhang erst möglich macht. Die Grenzen des naturgeschichtlichen
Weltbildes, die als die Urphänomene, Urtypen, als die Idee des Lebens, die Idee der
Materie auftreten, diese Grenzen, die Richtungen bedeuten, aber etwas, das nie end-
gültig erkannt wird, leiten den Betrachtenden immerfort leicht in das naturmythische
Weltbild über. Hier sind Ansätze, die immer verlocken, in bloß schauender Versenkung
zu erleben, was für das naturgeschichtliche Weltbild vollkommen gleichgültig, aber
konstituierend für diese neue Sphäre ist. So ist das Naturmythische immer als auf seine
Elemente auf Naturmechanisches und Naturgeschichtliches angewiesen und nie da-
von rein zu trennen.
Die Wertung der Natur war entgegengesetzter Art. Sie wurde als das Böse, Grauen-
erregende und als das Gleichgültige gesehen. Oder man sah in ihr die vollendete Ord-
nung und Schönheit, nahm aus ihr den Beweis für das Dasein Gottes als Weltbaumei-
sters, und fühlte sich in ihr geborgen. Anaxagoras178 fand das Leben lebenswert, weil
der Mensch die Ordnung des Sternenhimmels anschauen könne. Cicero liefert aus
einer begeisterten Schilderung des Naturganzen unter Heranziehung des Aristoteles
einen Beweis für das Dasein der Götter.179 Aus ihm schöpfte bis zur Aufklärungsphilo-
sophie diese Gesinnung. Giordano Bruno und Shaftesbury 180 erbauten sich an dem
Alleben der Natur als dem göttlichen Kunstwerk. Kant wiederholt schließlich diese
Naturanschauung:
»Die gegenwärtige Welt eröffnet uns einen so unermeßlichen Schauplatz von Mannigfaltig-
keit, Ordnung, Zweckmäßigkeit und Schönheit, man mag diese nun in der Unendlichkeit des
Raumes oder in der unbegrenzten Teilung desselben verfolgen, daß selbst nach den Kenntnis-
sen, welche unser schwacher Verstand davon hat erwerben können, alle Sprache über so viele
und unabsehlich große Wunder ihren Nachdruck, alle Zahlen ihre Kraft zu messen, und selbst
unsere Gedanken alle Begrenzung vermissen, so daß sich unser Urteil vom Ganzen in ein sprach-
loses, aber desto beredteres Erstaunen auflösen muß.«181
Aber Kant, der nichts gegen diese Naturanschauung einzuwenden hat, bringt sie
nur vor, um die Ansprüche abzulehnen, daraus einen Beweis für die Existenz des Welt-
schöpfers apodiktisch ableiten zu können.
Die drei charakterisierten Weltbilder waren als solche der kontemplativen Einstel-
lung beschrieben. Diese Weltbilder sind aber zugleich das Medium der aktiven Einstel-
lung. Zwar können die späteren Weltbilder in dieses Medium der aktiven Einstellung
| mit hineingezogen werden, dann pflegen sie aber die Form des Zeitlich-Räumlichen 166
vor allem darzubieten oder erst zu bekommen.
 
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