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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0257
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164 Psychologie der Weltanschauungen
Betrachten wir dieses Weltbild, in dem der Mensch handelt, so haben wir in Ana-
logie zu den drei sinnlich-räumlichen Weltbildern die des technischen Leistens, des ir-
rationalen Könnens und des magischen Wirkens. Das naturmechanische Weltbild ist dem
Menschen unterworfen; soweit dies reicht, kann er berechnen, machen; hier kann er
beliebig zu vervielfältigende Werkzeuge bauen, die von fast jedermann zu bedienen
sind. Es entsteht in der gegebenen sinnlich-räumlichen Welt eine neue, die technische
Welt der Maschinen. Darüber hinaus wird das menschliche Leben selbst, wird alles in
der Welt rationalisiert auf Grund von Plan und Berechnung, es wird »organisiert«, d.h.
mechanisiert, in »Betrieb« verwandelt. Die ganze Welt, alles hat eine technische Seite,
die so ergriffen werden kann. Aber nichts hat andererseits bloß technische Seiten. Hier
ist immerfort die Grenze des Technischen, die selbst im technischen Verhalten immer
wieder ein Können verlangt. Auf der Basis des jeweils technisch-mechanisch Erreich-
ten bedarf es zum konkreten Handeln - abgesehen von Grenzfällen regelmäßigster Ma-
schinenhandgriffe, und selbst in Spuren noch hier - eines Könnens, einer Kunst. Die
Einwirkung auf das bloß Phänomenale, das naturgeschichtlich Beschreibbare, aber
nicht Machbare, bedarf des Entschlusses, des Wagnisses, der Verantwortung, erman-
gelt der absolut gewissen Vorausberechnung, gelingt über die Beherrschung der tech-
nischen Voraussetzungen hinaus durch ein Plus an »Lebenserfahrung«, »Instinkt«,
»Verständnis«, »Lebenswissen«, eben eines Könnens, das nicht einfach übertragbar,
vielmehr persönlich erworben oder angeboren ist. Das Bewußtsein des Gemachtha-
bens und Machenkönnens setzt die Dinge zu bloßem Stoffe, zu immer Ersetzbaren,
zum an sich Verächtlichen herab, das bloß quantitative Eigenschaften, auch bloß
quantitativen Wert hat. Dem Bewußtsein der Abhängigkeit vom Können und vom
Schicksal ist eine Ehrfurcht eigentümlich, die subjektiv der unbegreiflichen Fülle der
gegenständlichen Welt im naturgeschichtlichen Weltbild entspricht.
Wenn schließlich das naturmythische Weltbild als Medium der Aktivität genom-
men wird, so entsteht das magische Wirken. Das magische Verhältnis bedeutet die Ein-
wirkung eines Inneren auf ein Äußeres, auf ein anderes überhaupt ohne Vermittlungen,
ohne Kausalketten, ganz unmittelbar unräumlich, gleichsam unterirdisch').182 Da al-
167 les Begreifen ein Erfassen der Reihe von Vermitt|hingen ist, durch welche etwas ent-
steht, ist die magische Wirkung unbegreiflich. Diese Unbegreiflichkeit, ein magisches
Verhältnis kennen wir unbezweifelbar nur an einer Stelle der Welt, in der Einwirkung
unseres Geistes auf den Leib, durch welchen als Mittel wir alle unsere Äußerungen,
Wirkungen, Handlungen allein vollbringen. Mögen wir noch so viel von den körper-
lichen Mechanismen, von psychischen Kausalzusammenhängen erfassen, es bleibt
das immer peripher, kommt an jenes magische Verhältnis gar nicht heran. Hier erfah-
ren wir, daß der bloße Gedanke in die sinnlich-räumliche Welt tritt. Diese Erfahrung
ist die Quelle für die Erweiterung eines vermeintlichen magischen Handelns über die

Zum Begriff des Magischen vgl. Hegel, W. W. 7, II, issff.
 
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