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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0259
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Psychologie der Weltanschauungen

keine Neigung, der Maschine als Bedienende, der fertigen Organisation als Eingeglie-
derte zu unterstehen.
Ganz anders sieht das technische Weltbild aus für den, der hineingeboren in ihm
arbeiten, ihm gehorchen muß, der den Gang der Maschine aufrecht erhält, aber nicht
schafft, der Sklave statt Schöpfer des Apparats ist. Die endlose Wiederholung, der bloß
quantitative Wert, die bloße Leistung ohne Kunst sind es, womit das Leben sich be-
gnügen muß.
Zwischen beiden Polen gibt es die Reihe der Zwischenstufen: Die Abneigung des
Technischen, so daß man es durchschaut und übersieht, gibt der einzelnen Leistung
durch das Bewußtsein des Ganzen, in dem man steht, mehr Sinn. Wenn schon keine
Kunst möglich ist, so doch ein Bewußtsein der pflichterfüllenden Unterordnung un-
ter ein Ganzes, dessen Zweck man sieht und bejaht. Dabei kommt der Mensch indi-
rekt zur Erfahrung dessen, wovon auch alles Technische abhängig bleibt, zur Erfah-
rung der unberechenbaren Momente, des letzthin Qualitativen, alles dessen, was im
naturgeschichtlichen Weltbild steckt. Diese Erfahrung wird durch den Kontrast zum
Technischen, wenn sie überhaupt einmal einsetzt, um so intensiver und bewußter. Der
Arzt z.B. kommt gerade durch die Kontrasterfahrung zu allem, was technisch zu ma-
169 chen und zu berechnen ist, zur Erfahrung des Lebens und zur Erfahrung seiner | Kunst;
und zu dieser Erfahrung kommt er ernsthaft und überzeugend, so daß sie Lebensele-
ment werden kann, nur durch vollständigste Beherrschung und vollständiges Ver-
ständnis des Technischen, worauf hier, wie sonst, notwendig die Willensaktivität, das
Nachdenken allein gerichtet bleiben kann.185
Allen denen, die im technischen Weltbild leistend oder schaffend oder erfahrend
stehen, ist entgegenzusetzen der bloße Betrachter von außen, der untätig in reiner Kon-
templation dieses Weltbild notwendig anders, gleichgültiger sieht, es leicht ästhetisch
isoliert, sich daran erbaut oder ärgert, aber es nicht zu eigen gewinnt.
Unserer Zeit, die in dem letzten Jahrhundert die ungeheuerste Umwälzung des
technischen Weltbildes erfahren hat, welche je in der Geschichte da war, ist es eigen-
tümlich, das Technische zu verachten, zu hassen oder einzig zu bewundern. Die Verach-
tung des Technischen, also aller Art von Betrieb, von Organisation, von Apparat, von
Maschinen, kommt nicht darum herum, daß all unser Leben von jeher, und jetzt nur
noch fühlbarer, auf dem Technischen als Voraussetzung ruht. Die Verhimmelung des
Technischen vergißt, daß doch alles Technische nur Mittel, nur Werkzeug ist; wo der
Sinn, wo der Zweck, wo das Ganze sei, das sagt das technische Weltbild nicht. Der
»Nutzen« ist die geläufige Redensart; aber was er sei, und ob er das letzte sei, ist die
Frage, durch die das technische Weltbild unvermeidlich in weitere Zusammenhänge
tritt.
 
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