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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 6): Psychologie der Weltanschauungen — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69894#0262
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Psychologie der Weltanschauungen

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Zunächst wird gesehen, daß überhaupt andere, fremde Welten existieren. Es taucht
das Bewußtsein auf: Es gibt noch etwas anderes | an Schicksalen, Einrichtungen, Er- 172
lebnissen. Und es taucht das Interesse auf, dieses andere kennenzulernen. Ohne sich
selbst zu verlieren, wie der Unmittelbare, welcher Fremdes assimiliert, vielmehr sich
behauptend und vergleichend, öffnet sich der menschliche Geist für Fremdes, es zu
sehen und sein Weltbild über eigene Realität und Erfahrung hinaus unter Selbsterhal-
tung zu erweitern. Dieser Schritt ist zuerst von den Griechen getan; ihnen wurden
fremde Völker und Kulturen in ihrer Existenz und Fremdheit gegenständlich, erkun-
denswert, wissenswert. Herodot ist uns ein Repräsentant dieser ersten erstaunten,
noch unklaren und naiven Einstellung auf das »Andere«.186
Im Vergleichen gliedert sich das Weltbild. Es trennen sich Sphären des Geistigen als
gewußte Gebiete: Es scheiden sich die Formen des Logischen, Ästhetischen, Religiösen,
des Politischen, Ökonomischen usw.; und es wird das Subjekt als verstehbare Seele den
Objekten als verstehbaren Inhalten, die Ausdruck, Schöpfung, Medium und Gegen-
stand dieser Seele sind, gegenübergestellt. Zahlreiche Einzelzusammenhänge des Gei-
stigen sondern sich in dem so entstehenden Weltbild zu eigengesetzlichen Sphären,
die in sich zusammenhängend und von strenger Regelmäßigkeit sind. Aber alle werden
wieder aufeinander bezogen, weil sie sich in dem Subjekt verflechten. Diese sich son-
dernden Einstellungen gegenüber der Gesamtheit der Menschenwelt lassen sich darum
in einen polaren Gegensatz gliedern. Die einen bauen ein Weltbild der objektiven Kul-
tur, die anderen eines von Menschen und Erlebnissen. Die ersteren sind ganz objektiv, die
letzteren subjektiv-psychologisch gewendet. Dem Verstehen des objektiven Sinns, der
Inhalte, des losgelöst vom Erleben Daseienden, steht das Verstehen des Menschen und
seines Erlebens gegenüber. Keines ist letzthin ohne das andere möglich, es sind auch
faktisch immer beide zusammen tätig. Die Pole werden nur manchmal annäherungs-
weise erreicht, und damit das Weltbild leer, steril; das Wachsen desselben hört dann
auf. Objektiv wird nur noch endloser historischer Stoff gesammelt, subjektiv immer
nach einigen Typen und Regeln gewaltsam verstanden und »zurückgeführt«. Es ist je-
doch möglich, ein Weltbild des Gegenständlichen überhaupt darzustellen, die Welt des
Unsinnlichen, Allgemeinen, Objektiven; es ist das ein ganz unpsychologisches, un-
menschliches Weltbild des »Bewußtseins überhaupt«,187 ein philosophisches Weltbild.
Es ist umgekehrt möglich, alles psychologisch anzusehen und ein ebenso einseitiges
Weltbild des seelischen Daseins zu geben. Beide Einseitigkeiten werden als vorüberge-
hende Standpunkte immer wieder versucht werden müssen, um die Spannweiten in-
nerhalb der Syn|thesen zum Weltbild des Verstehbaren überhaupt fort und fort zu er- 173
weitern. Diese Synthese wird letzthin in der konkreten historischen Anschauung
geschehen. Was das Verstehen erreicht hat, zeigt sich allein in der Darstellung und Auf-
fassung einzelner historischer Phänomene, in der Kasuistik.
Die objektive Kulturwelt ist im Gegensatz zur subjektiven Erlebniswelt gleichsam
eine Welt des Ansichs, unabhängig von Erleben und Schaffen sichtbar: die Welt der
 
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